»Wir müssen aktiver werden …«

Interview mit Anna vom Independent Media Center (IMC) Germany zur Berichterstattung über die Aktionstage zur Resdidenzpflicht.

Wie hat sich indymedia bei den Aktionstagen für die Abschaffung der Residenzpflicht vom 17.-19. Mai 2001 engagiert?

Anna: indymedia war mit öffentlichen Terminals und Stellwänden mit gedruckten Infos am Berliner Schloßplatz anwesend. Zusätzlich wurde die Kampagne begleitet, das heißt, wir waren selber mit mehreren Leuten da, die schwerpunktmässig geschrieben, gefilmt, fotografiert und Audios aufgenommen haben, um Öffentlichkeit für die Kampagne herzustellen.

Welche Notwendigkeit besteht für eine unabhängige Berichterstattung im Rahmen von politischen Kampagnen?

Anna: Grosse, offensichtlich, da die Anliegen der AktivistInnen so direkt transportiert werden können. Dabei sehe ich einen Unterschied zwischen unabhängigen (im Sinne von independent, also nicht-kommerziellen) Medien an sich und indymedia im besonderen: Bei uns ist die Idee, dass die Leute, die die Aktionen machen, auch selber darüber berichten, was natürlich die ¹Unabhängigkeit’ oder angestrebte ¹Objektivität’ der Medien in Frage stellt bzw. deutlich macht, dass sie gar nicht unser Interesse ist. Die Trennung zwischen denen, die etwas machen, und denen, die darüber schreiben, soll so aufgehoben werden, und damit die Interessen derjenigen, die Aktionen, Kampagnen etc. machen direkt in den Medien – also bei uns – erscheinen. Gleichzeitig soll das – direkt oder indirekt – auch deutlich machen, dass diese Unabhängigkeit auch bei etablierten Medien nicht gegeben ist. Indirekt, weil klar wird, dass über viel, was passiert, dort nicht berichtet wird, und direkt, indem wir das kritisieren und natürlich auch sagen, dass diese Medien kommerziell sind, dass mit ihnen Geld verdient wird und darüber hinaus auch interessengeleitet beeinflußt wird, worüber sie berichten. Durch das massiv wachsende Interesse an indymedia wird außerdem deutlich, dass diese Arbeit notwendig ist und Bedarf besteht. Gerade auf der Seite der ’Nicht- AktivistInnen’ und sogar bei den sogenannten corporate media, oder Mainstream- Medien, die inzwischen ebenfalls viele Informationen von uns beziehen.

Was war das besondere an der Öffentlichkeitsarbeit zu den Residenzpflichttagen?

Anna: Dass wir die einzigen waren, die umfassend und kontinuierlich über die Kampagne berichtet haben und verschiedene Perspektiven der Flüchtlinge, also der InitiatorInnen der Kampagne selbst, in der Berichterstattung Platz fanden.

Warum haben die Mainstreammedien die Aktionstage gegen die Residenzpflicht fast völlig ignoriert?

Anna: Das ist uns selbst nur bedingt klar. Das Thema hatte vorher wenig Interesse ausserhalb der Flüchtlingsorganisationen gefunden. Und die wiederum sind relativ wenig ’professionell’ auf JournalistInnen eingegangen bzw. hatten zum Teil auch explizit kein Interesse daran, die dafür notwendige Medienarbeit zu machen: Der vorherrschende Tenor war: »Wenn es notwendig ist, die einzelnen JournalistInnen zu ’pflegen’, also anzurufen und mit Infos zu versorgen, wenn also die von sich aus gar kein Interesse am Thema haben, dann können sie uns gestohlen bleiben.« Und da quasi keine deutschen Organisationen oder Gruppen die Kampagne von vornherein begleitet haben und die Unterstützung im Vorfeld sehr dünn war, gab es wenig Bewusstsein und Aufmerksamkeit für die Kampagne. Sie ist, was Dynamik und Größe anging, wohl auch deutlich unterschätzt worden. Zumindest durch die Medien und teilweise auch im Vorfeld durch die ’zuständigen’ Gruppen. So haben zum Beispiel bei der grossen Samstagsdemo mit mehreren Tausend TeilnehmerInnen – real die grösste linke Demo in Berlin abgesehen vom 1.Mai – wurde von einer mir bekannten Zeitung nur jemand zur Auftaktkundgebung geschickt und dann von ’einigen hundert TeilnehmerInnen’ berichtet. Selbstkritisch müsste noch gesagt werden, dass die Vorbereitung der ganzen Kampagne von sehr wenig Leuten getragen wurde und die Gruppe, die die Pressearbeit gemacht hat, einfach mit der Arbeit nicht hinterherkam. Mehr Energie in diesem Bereich hätte sicher auch mehr Berichte zur Folge gehabt.

Warum habt ihr die Öffentlichkeitsarbeit für die Kampagne übernommen?

Anna: Wir haben sie nicht übernommen – es gab eine eigene Öffentlichkeitsgruppe der Kampagne. indymedia hat beschlossen die Kampagne zu begleiten. Dadurch, dass sonst kaum jemand berichtet hat, sah es so aus, als hätten wir die Öffentlichkeitsarbeit der Kampagne gemacht.

Hatte Internet in diesem Zusammenhang einen besonderen Stellenwert?

Anna: Sicher: Einerseits ist es einfach schneller und bietet fast unbegrenzt viel Platz. Andererseits hat es die Möglichkeit eröffnet, auf dem Schlossplatz Terminals bereitzustellen, an denen Leute direkt darüber Berichte veröffentlichen können, was sie erleben: ihre Kommentare zur Kampagne, aber auch alltägliches Erleben aus der Perspektive von Flüchtlingen. Da gerade für Letztere Internetzugang ziemlich schwierig ist, ist es umso wesentlicher, den zu ermöglichen und dieser Realität Öffentlichkeit zu verschaffen.

Wie meint ihr, können Themen von, über, mit, für Flüchtlinge in den Medien plaziert werden?

Anna: Durch Berichte über deren Aktionen, das Ernstnehmen ihrer politischen Aktivitäten, aber natürlich auch, indem Gruppen von deutschen oder anderen antirassistischen AktivistInnen auf die Flüchtlingsgruppen zugehen und sie unterstützen, damit sie von den Medien als relevant wahrgenommen werden. Die Relevanz ergibt sich natürlich nicht durch die anderen Gruppen, aber (auch) durch Masse, durch aufnehmen von Diskussionen und Zielen politischer Aktivitäten. Genauso ist notwendig, dass andere gesellschaftliche Gruppen die Situation von Flüchtlingen aufnehmen und nicht nur abstrakt thematisieren – also nicht bloss über, sondern mit Flüchtlingen reden und gemeinsam Kampagnen organisieren. Über Bewegung lässt sich Medieninteresse wecken, genau wie mit gut geplanten Aktionen, die Aufmerksamkeit erregen. Dabei spielen unabhängige Medien natürlich auch eine wesentliche Rolle. Wenn die Idee ist, gar nicht neutral oder objektiv sein zu wollen, dann ist es umso wichtiger, denen Stimme und Bilder zu verleihen, die dazu die schlechtesten Voraussetzungen haben.

Wie schätzt ihr eure eigene Arbeit im Zusammenhang mit den Residenzpflichttagen und zukünftigen Kampagnen oder Aktionen ein?

Anna: Einerseits enorm wichtig, weil es so wenig Medienpräsenz gab. Andererseits gab es diverse Defizite. Wir sind unserem eigenen Anspruch, den AktivistInnen ein Forum zur Verfügung zu stellen, nur bedingt gerecht geworden. Wir waren gewissermassen nur passiv vorhanden, also in Form eines Zeltes mit Terminals. Wir sind aber sehr wenig auf Flüchtlinge und andere Beteiligte zugegangen, um sie aufzufordern, Berichte zu schreiben oder Kameras oder MiniDisc-Rekorder zu leihen, um eigene Dokumentationen zu machen. Die Idee von indymedia ist noch immer nicht allgemein bekannt, sie war das im Mai noch viel weniger, gerade ausserhalb der Internet-versierten radikalen Linken. Wir sind dabei, unser Konzept bekannter zu machen – das ist aber noch deutlich ausbaufähig. Wenn das Interesse also ist, MigrantInnen dieses Medium zugänglich zu machen, dann heisst das auch, besser zu erklären, was wir wollen. Flugis in verschiedenen Sprachen zu verteilen und Leuten anzubieten, ihnen zu helfen. Das ist nur zum Teil passiert, was dann zum Beispiel dazu geführt hat, dass die Computer eher zum mail checken benutzt wurden – was ja okay ist, wenn auch über mail Infos weitergegeben werden und in den Flüchtlingsheimen und mit Flüchtlingstaschengeld die Gelegenheit selten gegeben ist. Aber es wurde für indymedia kaum etwas geschrieben. Frauen haben sich daran fast gar nicht beteiligt. Ich persönlich bin mehrfach auf Leute zugegangen, habe intensiv auf sie eingeredet und versucht Interesse dafür zu wecken, dass auch ausserhalb von Berlin die Kampagne verfolgt werden kann. Es ist mir nur gelungen, sie dazu zu bewegen, etwas zu veröffentlichen, wenn ich mich selbst mit an den Computer gesetzt habe, teilweise auch selber die Berichte aufgeschrieben und übersetzt habe oder versucht habe, sie davon zu überzeugen, dass Artikel in englisch oder französisch eigentlich nicht nur kein Problem, sondern genau richtig sind. Die Hemmungen dabei dürfen nicht unterschätzt werden – die hatten ja fast alle am Anfang und die vergessen wir so leicht. Gerade inmitten einer sehr dynamischen Aktion haben Menschen auch oft erst mal ein anderes Bedürfnis, als scheinbar allein am Rechner zu sitzen – mehr Spass macht es, sich zu unterhalten, andere kennenzulernen, sich an Aktionen zu beteiligen, etc. Fazit für indymedia ist, dass wir aktiver werden müssen. Einfach Sachen hinstellen und von der selbstverständlichen Attraktivität von Internet, Computern und indymedia auszugehen, ist ein grosser Fehler.

Das Interview wurde per email geführt, stellt die ganz persönliche Sichtweise von Anna dar und spiegelt nicht das gesamte Projekt wider.

Siehe auch Video- und Audiostreams von den Aktionstagen

Berichterstattung zu den Aktionstagen bei indymedia:

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