Ein fehlgeschlagener Versuch der Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen

von Emma Schaaf

Das Haus Nr. 8 in der Südstrasse in der kleinen sächsischen Stadt an der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik ist eine Besonderheit in der BRD. Es ist seit neun Jahren die Adresse des Nationalen Jugendblocks Zittau (NJB). Am 25.10.2001 fällte der Zittauer Stadtrat die Entscheidung, eben dieser, laut Verfassungsschutzbericht »aktiven neonationalsozialistischen Organisation«, das Haus per Erbbaupachtvertrag für 33 Jahre zu überstellen.

Aber der Reihe nach: Der NJB ist eine Organisation, die sich 1992 gegründet hat und ungefähr 20, zumeist junge Rechte als harten Kern sowie weitere Sympathisanten umfasst. Er ist über Zittau hinaus besonders in Ostsachsen aktiv und eine wichtige Anlaufstelle für Rechte nicht nur aus der Region, sondern auch für andere rechtsradikale Gruppierungen und Skinheads aus ganz Deutschland. Der sächsische Verfassungsschutz berichtet, dass Jugendliche in der Südstraße Nr. 8 »Zugang zum organisierten Rechtsextremismus« finden und dort die Möglichkeit haben, rechtsextremistisches Gedankengut auszutauschen. Neben der Organisation von Festen, Konzerten, bei denen häufig rechtsextreme Skinheadbands auftreten und mit deren Hilfe laut Verfassungsschutzbericht 2000 »nationalgesinnte Jugendliche gesammelt werden sollen«, beteiligt sich der NJB auch an der Vorbereitung von und der Mobilisierung für überregionale Aktivitäten, häufig in Zusammenarbeit mit der NPD. Ein Beispiel hierfür ist der Holger-Müller-Gedenkmarsch, der jedes Jahr Anfang Juli stattfindet und für den laut Neues Deutschland vom 22.10.2001 die Südstrasse 8 Organisationsstützpunkt ist. Mit diesem Marsch erinnern Neonazis an Holger Müller, der am 5.7.1992, nachdem er zusammen mit zwei anderen Neonazis MigrantInnen gejagt und bedroht hatte, in Notwehr von einem Asylbewerber mit seinem eigenen Messer erstochen wurde. Der Asylbewerber wurde in dem darauffolgenden Gerichtsprozess freigesprochen. Gerade bei diesem Aufmarsch werden Verbindungen zur bundesweiten Neonaziszene deutlich. 1999 nahm Christian Worch, führender Funktionär der Freien Kameradschaften Norddeutschland teil; im vergangenen Jahr Frank Schwerdt, NPD-Landesvorsitzender in Thüringen, NPD-Bundesgeschäftsführer und Bundesvorstandsmitglied der NPD.

Anfang Mai diesen Jahres nun wurde dem NJB der Mietvertrag für das Haus in der Südstrasse mit der städtischen Wohnbaugesellschaft gekündigt, angeblich wegen Baufälligkeit des zugegebenermaßen heruntergekommenen Hauses. Allerdings spricht einiges dafür, dass es sich hier um eine politische Entscheidung handelte, um das Image der Stadt rechtzeitig zum Tag der Sachsen wiederherzustellen. Immerhin berichtete bereits im Januar diesen Jahres der »Spiegel«, wie »fahrlässig und gedankenlos« in Zittau Neonazis unterstützt werden. Der NJB ließ diese Entscheidung allerdings nicht auf sich sitzen. Mit Transparenten am Haus und in Flugblättern wehrte er sich gegen die mögliche Schließung und drohte in Flugblättern damit, dass man »keinerlei Verantwortung für das Handeln einzelner Personen« übernehme. Für das »Augen auf«-Wochenende gegen Rechts Ende Mai, bei dem Kulturveranstaltungen und Vorträge zum Thema Fremdenfeindlichkeit stattfanden, drohte der NJB mit Gegenaktivitäten unter dem Motto »Augen auf – gegen Links«.

Die Stadt kapitulierte vor den Nazis, ein privater Hausbesitzer hatte zudem den Neonazis die Nutzung seiner Villa in der Lessingstrasse angeboten. In der Lessingstrasse hatte bis zur Pogromnacht 1938 die jüdische Synagoge gestanden. Dieser Fakt fiel bei der Begründung der Ablehnung des Umzugs seitens der Stadt allerdings unter den Tisch, es wurden die dichte Besiedlung, AnwohnerInnen, die sich in ihrer Ruhe gestört fühlen könnten und mangelnde Kontrolle über die Aktivitäten des NJB angeführt. Zunächst wurde die Kündigungsfrist für den Vertrag mit der Wohnungsbaugesellschaft von Ende Juli auf Ende Oktober verlängert. Nach einigen Überlegungen, ein neues Haus zu suchen, entschied sich die Stadt dann doch für das Grundstück in der Südstrasse 8. Sie tauschte dieses Grundstück mit der Wohnungsbaugesellschaft gegen zwei andere städtische. Auch der neue Oberbürgermeister Arnd Voigt (Freie Bürger), der im Juni in sein Amt gewählt wurde und sich während der Wahlkampfs noch dafür ausgesprochen hatte, den rechten Kern zu isolieren, war nun dafür, den Nazis das Haus zu überlassen. Im Oktober entschied der Zittauer Stadtrat mit 22 zu 7 Stimmen in geheimer Abstimmung, dem NJB das Haus in der Südstrasse 8 für 33 Jahre per Erbbaupachtvertrag zu überlassen. Auch ein offener Brief des »Bündnis für Demokratie und Toleranz« des Bundestages an die Stadt Zittau konnte deren Entscheidung nicht beeinflussen. Der Beirat, in dem Mitglieder aller Bundestagsfraktionen vertreten sind, hielt die Entscheidung »ein städtisches Gebäude per Erbpacht bereitzustellen (…) für schier unfassbar«. Mit diesem Erbbaupachtvertrag geht das volle Nutzungsrecht und die Zuständigkeit für den baulichen Unterhalt an den NJB, dieser wird gleichzeitig auch befähigt, Kredite aufzunehmen, um das Haus zu sanieren. Im Gegensatz zu einem Mietvertrag verursacht ein Erbbaupachtvertrag der Stadt weniger Kosten.

Damit erlangt Zittau traurige Berühmtheit als einzige bundesdeutsche Stadt, die einer neonationalsozialistischen Organisation städtisches Eigentum für einen derart langen Zeitraum überlässt. Zusätzlich dazu hat der Jugendhilfeausschuss dem NJB 8000 DM zur baulichen Sicherung des Objektes zugesprochen. Obwohl in der bundesdeutschen Erbbaurechtsverordnung steht, dass das Erbbaurecht »nicht durch auflösende Bedingungen beschränkt werden darf«, meint die Stadt, unter bestimmten Vorzeichen den Vertrag doch lösen zu können, beispielsweise für den Fall, dass die NPD verboten wird oder sich der NJB nicht an seine neue Vereinssatzung hält. Im Zuge der Verhandlungen um das Haus Südstrasse 8 hatte der NJB in Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden eine neue Vereinssatzung und ein Nutzungskonzept für das Haus vorlegen müssen, was den Sozialbürgermeister Jürgen Löffler, der für soziale Fragen innerhalb der Stadt Zittau verantwortlich ist, gegenüber der Sächsischen Zeitung zu der Aussage veranlasste, dass der NJB sich geändert und eine zweite Chance verdient habe. Das Haus muss ab sofort ein offenes Jugendhaus sein, von dem keinerlei Gewalt ausgehen darf. Außerdem darf der Verein nicht mehr im Verfassungsschutzbericht auftauchen. Vereinszweck ist es jetzt, das »Umweltbewusstsein der Jugendlichen zu stärken«, über Drogenprobleme aufzuklären und zu gewaltfreier Konfliktlösung zu befähigen. Inwieweit diese Vorhaben in die Tat umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Der NJB gilt nach wie vor als überwachungswürdige Organisation und entgegen Behauptungen des Stadtrats Winfried Bruns gegenüber der Sächsischen Zeitung sind in dem Haus immer noch verbotene rechte Symbole, wie eine Keltenkreuzfahne, eine kleine Hakenkreuzmalerei und eine Reichskriegsfahne vorhanden. Das sächsische Innenministerium beklagte, dass Vorschläge der Polizei und des Verfassungsschutzes nicht in die Entscheidungsfindung der Stadt Zittau einbezogen wurden.

Alle bisherigen Versuche, die rechten Jugendlichen in der Südstrasse 8 unter Kontrolle zu bringen, können als gescheitert angesehen werden. So ist von den anfangs drei SozialarbeiterInnen nach Streichungen des Landkreises nur noch einer übrig und selbst dieser soll möglicherweise 2002 von der Arbeiterwohlfahrt zurückgezogen werden. »Wenn die jetzige Tendenz hin zu einem offenen Jugendhaus rückläufig wird, dann steigen wir aus«, so Johannes Krüger, der seit sieben Jahren als Sozialarbeiter in dem Objekt tätig ist. »Darüber hinaus bedarf es jetzt neuer Formen des Umgangs mit den Jugendlichen, dabei sollte auch darüber nachgedacht werden, neue Leute und Ideen einzubeziehen.« Grundsätzlich muss man sich allerdings die Frage stellen, welchen Einfluss diese SozialarbeiterInnen auf die Jugendlichen, die in der Südstrasse 8 ein- und ausgehen, überhaupt haben. So äußerte Stadtrat Schoof gegenüber der Frankfurter Rundschau, dass Sozialarbeiter nur gebraucht würden, »wenn einer von denen Schulden habe.(…) Wenn es interessant wurde, wenn die jungen Neonazis sich zusammenhockten, diskutierten oder planten, feierten oder tranken, dann ist immer dasselbe passiert: Dann haben die den Sozialarbeiter vor die Tür gesetzt.« Der SPD-Stadtrat war selbst zwei Jahre als Sozialarbeiter in der Südstrasse 8 tätig. Johannes Krüger hält dagegen, »dass ein Sozialarbeiter natürlich nicht stets und ständig in dem Haus anwesend sein kann. Möglich ist in erster Linie klassische sozialarbeiterische Beratung und darüber hinaus möchte ich ein Klima schaffen, in dem Gespräche zwischen Politik, breiten Teilen der Öffentlichkeit und den Jugendlichen möglich sind.« Wie erfolgreich er damit ist, ließ er offen. Hagen Kreisel, ein Mitarbeiter des AMAL Beratungsteams, das Opfer rechter Gewalt in Ostsachsen betreut, weist darüber hinaus darauf hin, dass »beim NJB noch hinzukommt, dass es sich bei den Mitgliedern des Vereins und dessen Umfeld vorrangig um erwachsene Menschen handelt, die mit den Methoden der Jugendarbeit kaum erreicht werden können.«

Die Stadt hat die Verantwortung von sich geschoben, indem sie auf Polizei, Staats- und Verfassungsschutz verweist, der das Geschehen in der Südstrasse 8 überwachen soll, die Stadträte müssten lediglich bestimmen, wo der NJB hinziehen soll. Und das in dem Wissen, dass der Verfassungsschutz den Räumen, die dem NJB zur Verfügung stehen, eine Schlüsselstellung als Treffpunkt für die Neonazis zuweist. Darüber hinaus ging von dem Haus in der Vergangenheit sowohl Propaganda, die den Holocaust leugnet, als auch Gewalt aus, so waren zum Beispiel Mitglieder des NJB an einem Überfall auf eine Party von Schwulen und Lesben und auf das alternative Café Emil im Jahr 1999 während des Zittauer Stadtfestes beteiligt. Bei Hausdurchsuchungen der Polizei wurden antisemitische Pamphlete, Nazi-Videos und indizierte CDs beschlagnahmt (Frankfurter Rundschau, 27.10.01).

Kritische Gegenstimmen

Gegenstimmen wurden von verschiedener Seite laut, so forderte das autonome internetkollektiv ostsachsen (a.i.k.o.), Nazis keine öffentlichen Räume zur Verfügung zu stellen. Auch die DGB-Jugend sowie die Landesvorsitzende der PDS, Cornelia Ernst, und der zivilcouragierte Verein »Augenauf« äußerten sich kritisch gegenüber dem Vorhaben, dem NJB das Haus Südstrasse 8 zu überlassen. So forderte die DGB Jugend vor der Entscheidung am 25.10. den Stadtrat auf, seine Entscheidung nochmals zu überdenken und ist darüber hinaus der Meinung, dass gewaltbereite Neonazis nicht mit eigenen Jugendclubs zu befrieden sind. Cornelia Ernst hält den NJB für nicht förderungsfähig und befürchtet, dass mit der Überschreibung des Grundstücks in der Südstrasse 8 Rechten ein weiteres Wirken in Ostsachsen möglich gemacht wird. Der Verein »Augenauf« hat sich auf seiner Homepage gegen den NJB positioniert und fordert neben der Ablehnung des Erbbaupachtvertrages auch einen »Abbruch der unendlichen erfolglosen Geschichte der akzeptierenden Jugendarbeit«. Doch all die Proteste haben bislang nichts genützt. Das Mobile Beratungsteam Sachsen, ein vom Bundesjugendministerium gefördertes Projekt, das Kommunen, Betriebe und Bildungseinrichtungen bei Problemen mit Rechtsextremismus und Rassismus berät, legt der Stadt nahe, dass »weder ein Erbbaupachtvertrag noch ein Mietvertrag mit dem NJB der richtige Weg ist. Was ist das denn für eine Vorstellung von Demokratie, eine nachweislich rechtsextreme Organisation wie den NJB als Vertrags- und Verhandlungspartner zu akzeptieren? Es ist ein Bruch im politischen Umgang mit Rechtsextremen nötig. Für das Haus Südstrasse 8 heißt das konkret, eine neue Trägerstruktur zu schaffen und einen Neuanfang in der Jugendarbeit zu vollziehen. Dieses Haus kann unmöglich zu einem offenen Jugendhaus werden, wenn der NJB dort weiter aktiv ist.«, so Markus Kemper, ein Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams (MBT). Das MBT versucht weiterhin die kritischen und besorgten Stimmen in der Stadt zu bündeln und der Politik und Verwaltung alternative Vorschläge zu unterbreiten. Auch Hagen Kreisel (AMAL) fordert die Stadt Zittau auf, »zum jetzigen Zeitpunkt den NJB, so lange er sich nicht glaubhaft und überprüfbar mit seiner Geschichte auseinandergesetzt und von ihr distanziert hat, zu isolieren und ihm das Nutzungsrecht des Hauses zu entziehen. Parallel sollte mensch über ein fundiertes Alternativangebot für die jüngeren Mitglieder der rechten Szene nachdenken. Damit wäre ein öffentliches Zeichen gesetzt, dass die kommunalen Verantwortungsträger nicht gewillt sind, eine wie auch immer geartete Unterstützung für rechtsradikale und demokratiefeindliche Umtriebe zu leisten.«

Ursprünglich sollte der Erbbaupachtvertrag mit dem NJB noch diesen Monat unterzeichnet werden, zur Zeit liegt er jedoch auf Eis, da ein Stadtrat den Beschluss bei der Rechtsaufsichtsbehörde wegen Formfehler beanstandet hat. Die muss nun prüfen, ob der Vertrag überhaupt rechtsgültig ist. Der NJB hat nun das Nutzungsrecht vorerst für zwei Monate von der Stadt übertragen bekommen.

*Links zum Thema*

Gegeninitiativen:

Presseartikel:

Nächster Artikel: Interview mit Hagen Kreisel

Dossier #3: Unser drittes Dossier gibt einen Einblick in derzeitige Projekte und Ansätze und liefert anhand aktueller Anlässe Grundlagen zur erneuten Diskussion der akzeptierenden Sozialarbeit.

  1. Jugendarbeit gegen Rassismus
  2. Jugendarbeit und Rechtsextremismus
  3. Beispiel Zittau
    (Emma Schaaf)
  4. Interview mit Hagen Kreisel
  5. Netzwerk für Demokratie und Courage e.V.
  6. Aktion Analyse
  7. Schon den Schirm!
  8. Karikaturenwettbewerb »Anders – na und?«
  9. Links zum Thema
  10. Termine
  11. … zu ostlastig?