Die Bedeutung von interkulturellem Lernen für die Jugend- und Bildungsarbeit. Chancen und Grenzen

Von Birgit Jagusch, IDA e.V.

Was heißt »Interkulturalität«?

Während der letzten Jahre hat der Terminus »Interkulturalität« eine erhebliche Karriere gemacht. Ein Begriff, der anfänglich nur in Fachzirkeln Verwendung fand, ist heute allgemein gebräuchlich und aus vielen Bereichen, auch innerhalb der Pädagogik, nicht mehr wegzudenken. Was aber ist Interkulturalität eigentlich?
Wie der Begriff schon nahe legt, verbirgt sich hinter Interkulturalität etwas, das

  1. mit Kultur(en) zu tun hat und das sich
  2. abgeleitet vom lateinischen Wort inter – zwischen verschiedenen Kulturen abspielt.

Es handelt sich also um ein dynamisches Konzept, welches von seiner Zielsetzung her im Wesentlichen auf den Austausch, das Vermitteln zwischen mehreren Kulturen gerichtet ist, im Gegensatz beispielsweise zum Begriff der Multikulturalität, der vornehmlich eine Zustandsbeschreibung ist, die Beschreibung des Zustandes von vielen Kulturen, die neben- oder miteinander bestehen. Multikulturalität impliziert zunächst noch nicht, ob und wie sich diese Kulturen zueinander verhalten. Weiterhin setzt das Konzept des interkulturellen Lernens – im Gegensatz zu dem kompensatorischen Ansatz der Ausländerpädagogik, der MigrantInnen eher als defizitär und hilflos betrachtete – die Vorstellung eines gleichwertigen, aber dennoch nach wie vor als »anders« wahrgenommenen Menschen voraus.

Dossier #10: Interkulturelle Jugendarbeit

  1. Interkulturelle Jugendarbeit
  2. Bedeutung von interkulturellem Lernen für die Jugend- und Bildungsarbeit
    (Birgit Jagusch, IDA e.V.)
  3. Theorie und Praxis interkultureller Bildungsarbeit
    (Niels Brüggen)
  4. Beispiel: deutsch-französischer Jugendaustausch
    (Stephanie Haan)
  5. Praxisprojekt: Mein guter Freund
    (Katrin Bäumler)
  6. Praxisprojekt: »Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …«
    (Iren Schulz)
  7. Praxisprojekt: format – Medienarbeit für Toleranz
    (Iren Schulz)
  8. Weitere Projekte
  9. Weiterführende Materialien

Die primäre Ausgangsbasis des interkulturellen Lernens ist die als elementarer Bestandteil des Lebens wahrgenommene Kultur, welche als prägend und ausschlaggebend für die Eigen- und Fremddefinition vorausgesetzt wird. Dabei gehen Wissenschaft und Pädagogik von einem erweiterten »Kultur-Begriff« aus, der über die offensichtliche Ebene von Literatur, Kunst oder Musik hinausgehend, vor allem auch unsichtbare Normen, Einstellungen, Wahrnehmungsmuster, Ideen und Denkweisen umfasst, die gemeinsam das System Kultur bilden. Kultur stellt somit ein Orientierungssystem dar, an dem Mitglieder einer »Kulturgruppe« ihr Handeln ausrichten und durch das sie in ihrem Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst werden.(1)

(1) Vgl. Friesenhahn, Günter J.: Kultur und Ethnizität, in: Friesenhahn, Günter J. (Hg.): Praxishandbuch internationale Jugendarbeit, Lern- und Handlungsfelder, rechtliche Grundlagen, Geschichte, Praxisbeispiele und Checklisten, Schwalbach, Ts.: Wochenschau Verlag, 2001, S. 70

Die Fixierung auf Kultur als bestimmendes Element des Lebens und somit Ansatzpunkt der Pädagogik ist jedoch nicht unumstritten. Gerade in den letzten Jahren hat sich Skepsis gegenüber der kulturalisierenden Pädagogik herauskristallisiert. Die Probleme und Gefahren, die in diesem Konzept liegen und auf die bei der Konzeption eines Projektes des interkulturellen Lernens geachtet werden sollte, werden im Anschluss thematisiert. Zunächst geht es jedoch darum herauszufinden, was Interkulturelles Lernen charakterisiert.

Innerhalb der unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, in denen Interkulturalität von Bedeutung ist, gibt es erhebliche Varianzen bezüglich der Definition. Dennoch kann ein verbindendes Leitmotiv erkannt werden, welches den unterschiedlichen Erklärungsmodellen gemein ist: es geht prinzipiell um die Frage, wie Menschen, die unterschiedliche kulturelle Hintergründe besitzen, egalitär, friedlich und konstruktiv zusammenleben und voneinander partizipieren können. Der prozessorientierte Ansatz, der davon ausgeht, dass Interkulturalität nicht etwas ist, das man besitzt oder auch nicht, sondern sich erwerben muss, namentlich interkulturelle Kompetenz, lässt sich definitorisch in Anlehnung an Grosch/Groß/Leenen folgendermaßen formulieren: »Unter interkultureller Kompetenz wird ein Set von Fähigkeiten verstanden, die es einer Person ermöglichen, in einer kulturellen Überschneidungssituation unabhängig, kultursensibel und wirkungsvoll zu handeln.«(2)

(2) Grosch, Harald/Groß, Andreas/Leenen, Wolf Rainer: Methoden interkulturellen Lehrens und Lernens, Saarbrücken: ASKO Europa Stiftung, 2000, S. 8

Ein zentraler Aspekt hierbei ist, dass die Konstruktion von Identität und Differenz eine ausschlaggebende Rolle spielt, die Perspektive der eigenen Kultur und die der fremden Kultur, die es zu entdecken und zu verstehen gilt. Durch die Abgrenzung von Personen, die nicht zu der eigenen Gruppe gehören, wird eine eigene Identität herausgebildet, die eigene Gruppe, das eigene soziale Umfeld bildet die »Gruppenidentität«. Aufgabe des interkulturellen Lernens ist es, ausgehend von diesen Eigen- und Fremdheitserfahrungen, Raum zu schaffen für die Anerkennung der »Anderen« als prinzipiell egalitär und Interesse, Verständnis und Neugier an diesem wie auch immer wahrgenommenen »Anderen« zu wecken. Anerkennung beschreibt in diesem Zusammenhang einen Prozess der Akzeptanz und Achtung, ein Erkennen der Individualität und deren Respektierung.

Ziele interkulturellen Lernens

Dementsprechend können folgende Ziele des interkulturellen Lernens formuliert werden: Die Teilnehmenden eines Projekts des interkulturellen Lernens sollen

  • sich mit Elementen anderer Kulturen auseinander setzen. Es soll Interesse an anderen Kulturen geweckt werden, um dadurch Offenheit, Verständnis und Respekt für andere Kulturen zu entwickeln;
  • daraus resultierend und darauf aufbauend Kenntnisse über andere Kulturen erwerben, welche in den Alltag transferiert werden sollen;
  • eine Basis für die Akzeptanz der »Anderen« als gleichberechtigt schaffen und mögliche eigene oder gesellschaftliche Vorurteile wahrnehmen und entschleiern. Ein Ziel des interkulturellen Lernens ist es, fremde Kulturen wahrnehmen zu können, ohne diese positiv oder negativ zu bewerten;
  • die eigene Kultur reflektieren und hinterfragen, um so möglicherweise einen Prozess der persönlichen Veränderung in Gang zu setzen;
  • schließlich die Fähigkeit erwerben, Konflikte austragen zu können und Spannungen, die sich möglicherweise zwischen Kulturen ergeben können, aushalten und akzeptieren zu können.

Diese Elemente lassen sich in innerhalb verschiedener Kompetenzebenen systematisieren, die auch innerhalb einer interkulturellen Begegnung zum Tragen kommen:

  1. Analysekompetenz: Zentral ist hierbei die Vermittlung von Wissen über die eigene und fremde Kultur(en) und Lebenssituationen.
  2. Handlungskompetenz, d.h. die Ausbildung der Fähigkeit, eine Begegnung mit einer fremden Kultur bewusst gestalten zu können (bezogen auf Kommunikation, Sprache, Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit). Die Fähigkeit, mit anderen in Dialog zu treten, sollte nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, sondern wird erst erworben. Weiterhin ist die Entwicklung von gleichermaßen Empathie(3) als auch von Ambiguitätstoleranz(4) essentiell. Es ist nicht selbstverständlich, dass man im Umgang mit anderen Menschen Unsicherheit, Unwissen, Fremdheit oder Mehrdeutigkeiten aushalten kann, ohne sich entweder zurückzuziehen oder eine eigene – oftmals falsche – Interpretation des Nichtverstandenen vorzunehmen.
  3. Reflexionskompetenz, d.h. das Erkennen, dass jeder Mensch von kulturellen Werten, Einstellungen und Normen beeinflusst wird, die das Selbst- und Fremdbild bestimmen, jedoch nicht immer einen konkreten Realitätsbezug haben müssen und somit nicht immer in Übereinstimmung mit der Lebenswirklichkeit der wahrgenommenen Personen stehen. Diese Erkenntnis ermöglicht einen Perspektivenwechsel, der offen für die Reflexion von Eigen- und Fremdbild macht, um dadurch Stereotypisierungen erkennen zu können bzw. vermeiden zu helfen. Interkulturelles Lernen hat zudem die Aufgabe, die Herausbildung einer so genannten flexiblen Identität zu unterstützen, welche die Voraussetzung für (Inter-)Aktionen innerhalb von Überschneidungssituationen schafft. Eine reine Informationsvermittlung ohne selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen – oft unbewussten – Befangenheit und der Funktion der Konstruktion von Fremdbildern beinhaltet die Gefahr, dass das vermittelte Wissen nur insoweit und ausschließlich selektiv verarbeitet wird, wie es mit dem eigenen konstruierten Bild übereinstimmt.
(3) Fähigkeit eines Menschen, sich vorübergehend mit einem anderen zu identifizieren. Fehlende Empathie verbindet sich dagegen mit Stereotypenbildung, Intoleranz und Vorurteil.
(4) Begriff des neueren Rollenkonzeptes, der sich auf das Verhältnis von gegenseitigen Rollenerwartungen und wechselseitiger Bedürfnisbefriedigung bezieht. Ambiguitätstoleranz liegt vor, wenn eine Person ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rollenanpassung und eigenem Rollenentwurf finden kann. Siehe auch das Medizinisch-Psychologische Glossar der Uni Freiburg

Erhebliche Relevanz besitzt weiterhin die Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen Machtungleichgewichten, die Thematisierung von dominierender und dominierter Kultur. Erst die Vergegenwärtigung der Strukturen von Inklusion und Exklusion, die zu dem gesellschaftlichen Ungleichgewicht und zu Diskriminierung führen, ermöglicht eine schrittweise Veränderung und dadurch ein gesamtgesellschaftliches egalitäres Zusammenleben. Rassismus ist nicht ausschließlich ein individuelles Problem, das auf der persönlichen Ebene, etwa durch eine Seminar oder Training des interkulturellen Lernens, gelöst werden könnte, sondern durchzieht alle Ebenen und Institutionen des menschlichen Zusammenlebens. Diese Komplexität und Zusammenhänge sollten in Projekten des interkulturellen Lernens stets Berücksichtigung finden, um nicht selektiv und monokausal zu argumentieren und höchst relevante (Wirkungs-)Mechanismen außer Acht zu lassen.

So wichtig das Erwerben interkultureller Kompetenz also in der Gesellschaft ist, so elementar wie interkulturelle Pädagogik in Hinblick auf die Zukunft in Deutschland ist, so gibt es doch auch Grenzen der interkulturellen Pädagogik, Probleme, die sich bei der Konzeption eines interkulturellen Projekts ergeben.

Fallen des interkulturellen Lernens

Soviel zu den theoretischen Überlegungen, was Interkulturalität bzw. interkulturelles Lernen eigentlich als Element der Pädagogik charakterisiert. Was jedoch in der Theorie als richtungweisender, moderner und viel versprechender Ansatz zum Umgang mit verschiedenen Kulturen innerhalb eines sozialen Raums klingt, sowohl auf der Mikroebene – also in Schule, Jugendclub, Freundeskreis, Familie – als auch auf der Makroebene – bezogen auf die Gesamtgesellschaft, das Zusammenleben in der Bundesrepublik Deutschland – , ist in der Realität bisweilen schwierig umzusetzen. Gegenüber dem Konzept des interkulturellen Lernens hat sich nach einem etwas unreflektierten Anfangsoptimismus Kritik entwickelt, welche das Konzept auf seine inhärente Problematik hin untersucht.

Kultur ist ein dynamischer Prozess

Auch wenn eine interkulturelle Begegnung immer ein dynamischer Prozess ist, bei dem sich Jugendliche mit verschiedenen kulturellen Hintergründen begegnen, wird Kultur häufig noch als statische Einheit angesehen. Es wird eine Homogenität der Kultur vorausgesetzt, die verschiedene, in sich geschlossene Einheitskulturen generiert. Diese Vorstellung ist meines Erachtens allerdings falsch, da es die Überschneidungen der persönlichen Lebensbedingungen unweigerlich mit sich bringen, dass sich Jugendliche Elemente aus verschiedenen Kulturen zu Eigen machen – sich eine so genannte Patchworkidentität schaffen. Diese führt die angenommene Homogenität der Kulturen ad absurdum und macht es gleichzeitig problematisch, mit dem Konzept der Kultur in der Pädagogik zu operieren. Jugendliche haben ganz verschiedene Lebensentwürfe, die es nicht möglich machen, eine einzige für alle gemeinsame Kultur zu definieren. Keine Kultur besteht unabhängig von anderen Kulturen, es herrschen stets Beziehungen zwischen den einzelnen Kulturen, die sich gegenseitig beeinflussen und verändern. Kulturen entwickeln sich demzufolge, sind abhängig von ganz unterschiedlichen Variablen, wie dem gesellschaftlichen und historischen Kontext, und sind nicht eindeutig gegeneinander abgrenzbar. Je nach den verschiedenen sozioökonomischen, gesellschaftlichen und psychologischen Faktoren, die die jeweiligen Lebenslagen beeinflussen, können sich Kulturen verändern, unterschiedliche Elemente dominant sein oder verschwinden. Das bedeutet, dass je nachdem, wie ein Jugendlicher sozialisiert wird, welche gesellschaftlichen, familiären, politischen, ökonomischen und religiösen Einflüsse seine Lebenswelt prägen, in welchem Kontext er sich bewegt, er ganz unterschiedliche kulturelle Elemente aufnimmt oder abgibt. Das, was man vielleicht zunächst mit einer bestimmten Kultur assoziiert, muss nicht zwangsläufig auch im Alltag eines Jugendlichen eine Rolle spielen.

Die Fokussierung auf Kultur kann eine Realitätsreduktion bedeuten

Die Annahmen davon, was Kultur ausmacht und welche kulturellen Aspekte das Leben von Jugendlichen bestimmen, korrelieren nicht immer mit der Realität. Die Lebenswelt eines Jugendlichen auf eine einzelne Kultur zu verengen bedeutet unter Umständen, die wirklichen prägenden Einflüsse zu verkennen und Jugendliche auf Dinge zu reduzieren, die unter Umständen für ihn oder sie gar keine Rolle spielen. Interkulturelles Lernen muss also zwingend aus diesen Zuschreibungen und Stereotypisierungen ausbrechen. Dazu ein Beispiel aus einem Aufsatz von Annita Kalpaka. Darin beschreibt sie, wie sie ein interkulturelles Projekt in einer Schule teilnehmend beobachtete:

"So musste ich bei einer Hospitation in einer interkulturellen Unterrichtsstunde miterleben, wie den Kindern ein Stück »griechischer Kultur« vermittelt wurde. Es ging um die Frühstücksgewohnheiten in verschiedenen Ländern, wofür ein griechisches Frühstück eigens improvisiert wurde. Auf meine Nachfrage hin, aus welcher Gegend Griechenlands diese Frühstücksgewohnheiten kämen, wurde ich von den Kindern aufgeklärt, dass sie auch nicht wüssten, ob es dies so gäbe. Bei sich zu Hause würden sie auf jeden Fall nicht auf diese Weise frühstücken. Sie hätten es sich aber für den interkulturellen Unterricht so ausgedacht."(5)

(5) Kalpaka, Annita: Überlegungen zur antirassistischen Arbeit mit Jugendlichen in der BRD, in: Leiprecht, Rudolf (Hg.): Unter Anderen. Rassismus und Jugendarbeit. Zur Entwicklung angemessener Begriffe und Ansätze für eine veränderte Praxis (nicht nur) in der Arbeit mit Jugendlichen, Duisburg, 1992, S. 131 ff.

Da sich Jugendliche, wie gesagt, ihre eigenen Patchwork-Biographien schaffen, ist es gut möglich, dass Jugendliche verschiedener Herkunftskulturen, die sich aber in ähnlichen Lebens- oder sozialen Lagen befinden, viel mehr miteinander gemeinsam haben, als sie trennt und die Fokussierung auf die Herkunftskultur erst Barrieren schafft, die zunächst gar nicht vorhanden waren. Der ausschließliche Blick auf vermeintlich dominante kulturelle Aspekte kann unter Umständen dazu führen, dass der Kultur eine wesentlich höhere Bedeutung zugeschrieben wird, als sie eigentlich de facto besitzt. Es besteht also zumindest die latente Gefahr, dass durch die Hervorhebung der Kultur Vorurteile nicht abgebaut, sondern vielmehr verstärkt werden. Dementsprechend kann interkulturelles Lernen kontraproduktive Effekte hervorrufen, wenn es nämlich die Lebens- und Verhaltensweisen simplifizierend auf kulturelle Unterschiede reduziert und die Komplexität menschlichen Verhaltens außer Acht lässt.

Kultur besitzt in unterschiedlichen Lebenslagen ganz unterschiedliche Bedeutungen. Manchmal sind kulturelle Aspekte wichtig, um das Verhalten eines Menschen zu verstehen, manchmal ist Kultur jedoch auch vollkommen irrelevant. Deshalb sollte immer bedacht werden, in welchen Situationen, unter welchen Rahmenbedingungen man auf Kultur zurückgreift. Um ein Beispiel zu geben: Bei einer Musikveranstaltung ist die jeweilige Herkunftskultur eine eher von unerheblicher Bedeutung, wenn es um den Aspekt der Musik alleine geht. Hierbei ist lediglich wichtig, ob die MusikerInnen ihre Instrumente beherrschen, Noten lesen können und im Zusammenspiel harmonieren. Ob es sich dabei um TürkInnen, JapanerInnen, Deutsche oder SpanierInnen handelt, ist zunächst unerheblich. Wie man eine Geige oder Posaune spielt, ist prinzipiell nicht abhängig davon, in welchem kulturellen Kontext man sozialisiert wurde und sich bewegt. Dies wird erst dann wichtig, wenn es um die Auswahl der Stücke geht, die gespielt werden. Dann stellt sich allerdings heraus, ob sich beim Zusammenspiel die jeweils dominante Kultur durchsetzt und die Auswahl der Stücke diktiert, oder ob alle Beteiligten dazu beitragen können, welche Musik gemacht wird.

Vorsicht vor Paternalismus

Ein weiterer Bereich, der interkulturelle Projekte problematisch machen kann, ist die Tatsache, dass Konzepte des interkulturellen Lernens häufig noch ausschließlich von »Mehrheitsdeutschen« gemacht werden, die sich überlegen, wie das Leben von MigrantInnen wohl sein mag, und dabei oft die Realität nur am Rande berühren. So ernsthaft man sich auch bemüht, einen stereotypenfreien Ansatzpunkt für ein interkulturelles Projekt zu finden, soviel man auch über das Leben von MigrantInnen weiß, ob aus eigener Erfahrung oder aus der theoretischen Aneignung durch Literatur, authentisch sind nur diejenigen, die in und mit der entsprechenden Kultur leben. Wichtig ist es deshalb, dass interkulturelle Projekte nicht von »Mehrheitsdeutschen« für MigrantInnen, sondern mit ihnen gemacht werden. Die paternalistische Herangehensweise, die manchmal ein interkulturelles Projekt bestimmt und zu Recht von MigrantInnen kritisiert wird, kann daher häufig zu gegenteiligen Outputs führen. Interkulturalität darf sich nicht nur in »Lippenbekenntnissen« durchsetzen, sondern muss ein Projekt des interkulturellen Lernens auf allen Ebenen – inhaltlich, organisatorisch, strukturell, konzeptionell – durchziehen. Das bedeutet beispielsweise, dass auch MigrantInnen in verantwortlichen Positionen das Projekt eingebunden werden müssen.

Schlussfolgerungen

Interkulturelles Lernen ist also eine pädagogisches Konzept und eine Aufgabe, die mit vielen Fallstricken und Schwierigkeiten behaftet ist, die es zu einer anspruchsvollen Aufgabe für PädagogInnen macht. Dennoch muss der Erwerb interkultureller Kompetenz für Jugendliche ein elementarer Bestandteil ihrer Sozialisation werden. PädagogInnen und andere MultiplikatorInnen der Jugend- und Bildungsarbeit sollten sich deshalb kultursensibel, selbstkritisch und selbstreflexiv dieser Herausforderung stellen.

Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.
Volmerswerther Str. 20
40221 Düsseldorf

multikulturell? kulturell rassistisch!

Unter dieser Überschrift fand eine Veranstaltung der Antirassistischen Gruppe Leipzig im Jugendcafé tomorrow statt. Die Texte dazu üben grundsätzliche Kritik an interkultureller Pädagogik, die sich auf multikulturalistische Theorien bezieht. Die Gruppe argumentiert, dass Multikulturalismus nur eine andere Spielart von Rassismus ist, da hier ebenfalls von einer »anderen« Kultur ausgegangen wird, die einer »eigenen« gegenübersteht. Hier werden die Probleme, die Birgit Jagusch anspricht, nicht als mögliche Gefahren, sondern als in dem Ansatz bereits verankert gesehen.

Fachtagung Rechtsextremismus: Mit interkultureller Pädagogik gegen »national befreite Zonen«?

Prof. Dr. Albert Scherr (Pädagogische Hochschule Freiburg) problematisierte in seinem Beitrag die Frage, ob und inwiefern »Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus als eine Reaktion auf die Erfahrung kultureller Differenz verstanden werden« muss. Nur unter dieser Prämisse könne eine interkulturelle Pädagogik, die ja darauf abziele, kulturelle Differenz und damit einhergehende »Verstehens- und Verständigungsprobleme sowie Ängste und Abwehrhaltungen gegenüber als fremd wahrgenommenen Kulturen zu bearbeiten«, als adäquate Reaktion auf Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus interpretiert werden. …
HD Dr. Paul Mecheril (Universität Bielefeld) ging auf problematische »Verkürzungen« der antirassistischen Arbeit ein, Verkürzungen, die beispielsweise vorschnell Rassismus als »institutionalisiertes falsches Bewusstsein«, als »irrationales Vorurteil« oder als »rationales Eigeninteresse« interpretieren. … Darüber hinaus formulierte Mecheril Handlungsansätze und -perspektiven einer sich kritisch mit Rassismus und Dominanzverhältnissen auseinander setzenden Pädagogik.
Am Nachmittag wurde ein Spektrum unterschiedlicher pädagogischer und politischer Ansätze vorgestellt, die für die Auseinandersetzung um Rassismus und Rechtsextremismus einerseits und für eine partizipative und auf Anerkennung abzielende Einwanderungsgesellschaft anderseits virulent sind.

Die Beiträge von Prof. Dr. Albert Scherr und HD Dr. Paul Mecheril sind nachzulesen in der Zeitschrift »Überblick« 4/2003 (PDF-Datei) des IDA-NRW.

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