»Ich habe nichts gegen Ausländer, aber …« – ein medienpädagogisches Praxisprojekt

von Iren Schulz

Das Praxisprojekt, das im Folgenden vorgestellt wird, entstand aus den Ergebnissen einer Untersuchung zum Einfluss des Fernsehens auf das Ausländerbild von Kindern und Jugendlichen. Die Studie mit dem Titel »Was guckst du, was denkst du?« wurde vom Lehrstuhl für Medienpädagogik und Weiterbildung der Universität Leipzig und dem JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis München durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich kurz zusammenfassen: Deutschlands Talkshows inszenieren den türkischen Macho. Deutschlands Gerichtsshows verurteilen Ausländer als Verbrecher. Kinder und Jugendliche sehen und mögen Talk- und Gerichtsshows – und sie erinnern sich an »türkische Machos« und »kriminelle Ausländer«. Diese stereotypen Darstellungen von Menschen mit ausländischem Hintergrund im Nachmittags- und Vorabendprogramm prägen das Ausländerbild von Heranwachsenden neben anderen Umwelteinflüssen entscheidend mit.

Daran setzt das medienpädagogische Projekt, das von dem ForscherInnenteam als Modellprojekt entwickelt wurde, an. Ziele sind die Sensibilisierung der Mädchen und Jungen für ihr subjektives und das gesellschaftliche Ausländerbild sowie die Befähigung, die im Fernsehen inszenierten »Ausländer-Typen« kritisch zu hinterfragen und ihnen eigene Konzepte entgegenzusetzen.

Das Modellprojekt wurde im Rahmen der Projekttage in einem Leipziger Gymnasium erprobt: Die Schüler und Schülerinnen der 8. bis 10. Klasse wollten eine eigene Talkshow zum Thema »Ausländer in Deutschland« gestalten. Bevor sie sich der Inszenierung ihrer Show widmeten, setzten sich die Heranwachsenden damit auseinander, was sie über Ausländerinnen und Ausländer wissen, was sie über Menschen mit ausländischem Hintergrund denken und woher sie diese Informationen und Ansichten haben. Nicht selten kamen dabei auch einzelne Talkshows zur Sprache, in denen ausländische Menschen auftraten und den Heranwachsenden in Erinnerung geblieben sind.

Die Mädchen und Jungen beschäftigten sich nicht nur mit ihrem eigenen Bild von Ausländerinnen und Ausländern, sie befragten auch Menschen auf der Straße zu deren Meinung und bekamen von vielen eine Antwort, die so oder ähnlich lautete: »Ich habe nichts gegen Ausländer, solange sie sich hier ordentlich benehmen.« Für die Jugendlichen schien damit klar, dass die Menschen auf der Straße Ausländerinnen und Ausländern gegenüber positiv eingestellt sind. Beim mehrmaligen Anhören der Aufnahmen wurde ihnen allerdings bewusst, dass diese Aussagen in der Tendenz negativ sind, weil Menschen mit ausländischem Hintergrund pauschal unterstellt wird, dass sie sich nicht »ordentlich benehmen«.
Bereits in dieser ersten Phase des Modellprojekts steht die aktive Auseinandersetzung der Heranwachsenden mit den Themen Ausländer und Daily Talks im Mittelpunkt. Basierend auf den Prinzipien praktischer Medienarbeit geht es darum, das kritische Bewusstsein und die Eigenaktivität der Heranwachsenden in den Mittelpunkt zu stellen. So werden sie befähigt, gewonnene Einsichten und Standpunkte anderen gegenüber zu kommunizieren.

Für die Interviews der Studie wurde ein Assoziationsspiel entwickelt, das auch in diesem Schulprojekt Anwendung findet. Bei dem Spiel sollen die Heranwachsenden spontan fünf Begriffe nennen, die ihnen bei dem Wort »Ausländer« in den Sinn kommen. Diese Begriffssammlung sowie die bereits erwähnte Umfrage auf der Straße stellen im Praxisprojekt den Ausgangspunkt für die Diskussion um das Thema »Ausländer in Deutschland« dar. In anschließenden Gesprächen geht es nicht nur darum, woher die Heranwachsenden ihre Vorstellungen von Ausländerinnen und Ausländern haben, sondern auch darum, was sie tatsächlich über ausländische Menschen und ihr Leben in Deutschland wissen und vor allem – welche Informationen ihnen fehlen. Vor diesem Hintergrund nimmt die Idee der Inszenierung einer Talkshow nach den Vorstellungen und Maßgaben der Heranwachsenden Gestalt an. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten ein Sendungskonzept und erhalten die Möglichkeit, ihre Forderung nach einer sachlichen und informativen Diskussion zwischen ausländischen und deutschen Menschen selbst zu verwirklichen. Ihre »Talkshow« sollte auf jeden Fall veröffentlicht werden. Die Präsentation vor einem Publikum wirkt sich motivierend auf den Projektverlauf und die Auseinandersetzung mit dem Thema aus. Die Heranwachsenden müssen ihre Sichtweisen und ihre Umsetzung vor einer Öffentlichkeit vertreten.

Die Talkshow mit dem Titel »Ich habe nichts gegen Ausländer, aber…« der Leipziger Gymnasiastinnen und Gymnasiasten wurde im Rahmen einer Veranstaltung der gesamten Schule, zu der auch die Eltern eingeladen waren, »ausgestrahlt«. Die Jugendlichen zeigten in ihrer Show, wie sie sich eine konstruktive Talkrunde, in der auch Emotionen und Befindlichkeiten zur Sprache kommen, vorstellen. Die von den Schülerinnen und Schülern gespielten Talkshowgäste kamen aus den verschiedensten Kulturkreisen und vertraten zunächst sehr ambivalente Meinungen, was die Ausländerthematik betraf. Zu Wort kamen auf der einen Seite eine junge Afghanin, die in Deutschland bisher keine negativen Erfahrungen gemacht hat, ein junger Türke, der sich in Deutschland wohl fühlt und eine eigene Firma leitet sowie ein alternativer Jugendlicher, der Ausländerinnen und Ausländer als eine Bereicherung für unser Land und die deutsche Kultur ansieht. Auf der Seite der eher ausländerfeindlich eingestellten Gäste stand eine junge deutsche Mutter, die schon lange keine Arbeit mehr gefunden hat, und ein Rentner, der Vorbehalte gegen Ausländerinnen und Ausländer hat, weil diese sich nicht ordentlich benehmen würden. Es entwickelte sich eine Diskussion, in der sich die Leipziger Schülerinnen und Schüler in ihrer jeweiligen Rolle bemühten, ihre kontroversen Positionen aufzuweichen und einen Konsens zu finden.

Es wurde deutlich, dass die Heranwachsenden nicht für alle Probleme schnelle Lösungen erwarten. Für sie kam die Talkshow zu einem »guten« Ende, weil sich Gäste mit verschiedenen Ansichten zugehört und aufeinander zu bewegt haben. So wurde beispielsweise der latent ausländerfeindlichen deutschen Arbeitslosen ein Job in der Firma des jungen türkischen Mannes angeboten. Die Schülerin, die sich für die Rolle der arbeitslosen Frau entschieden hatte, war es auch, die im nachbereitenden Gespräch feststellte: »Eigentlich ist es viel einfacher, für Ausländer zu sein. Da hat man viel mehr Argumente.«

Lehrstuhl für Medienpädagogik und Weiterbildung der Universität Leipzig
Iren Schulz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Das Modellprojekt wird in der Veröffentlichung der Studie ausführlich beschrieben:

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