Einmal Novi Sad und zurück

von Suse Lang, D-A-S-H europe

Wie D-A-S-H europe die Vernetzung junger Menschen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit stärkt

Der kleine Raum mit den Computern ist schon mehr als überfüllt. Über 50 Jugendliche drängeln sich auf Metallstühlen, kauern am Fußboden oder verfolgen den Workshop aus dem angrenzenden Regie-Raum. Denn, was hier an einem heißen Tag Anfang August passiert, ist außergewöhnlich – nicht nur für die Besucher von KUDA, dem lokalen Medienzentrum in Novi Sad, das sich in einer Plattenbausiedlung zwischen der lokalen Poststation und dem Fischladen angesiedelt hat.

30 Jugendliche, die in antifaschistischen und antirassistischen Initiativen in Brandenburg aktiv sind, sind zu Besuch in der Hauptstadt der Wojwodina, der autonomen Provinz im Norden Serbiens. Sie treffen sich zum Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit jungen MedienaktivistInnen, KünstlerInnen und NGO-MitarbeiterInnen aus Novi Sad. Das Thema: Wie kann dem in beiden Regionen in jüngster Zeit wieder dramatisch anwachsenden Rechtsextremismus begegnet werden? Welche Rolle spielen alte und neue Medien sowie selbstorganisierte Vernetzung im Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung?

Kennen gelernt haben sich die jungen AktivistInnen bei einer Konferenz Ende Februar 2004 in München: »NEURO--networking europe« brachte mehr als 250 VertreterInnen von Jugendgruppen aus über dreißig Ländern Europas und darüber hinaus zusammen, um drei Tage lang Strategien, Themen und Perspektiven europäischer Vernetzung zu diskutieren. Veranstaltet wurde NEURO von der europäischen Vernetzungsinitiative D-A-S-H, deren neue Internetplattform am ersten Tag der Konferenz öffentlich präsentiert wurde.
Spontan haben die Jugendgruppen aus Ostdeutschland und Serbien bei NEURO den Austausch für die kommenden Sommerferien vereinbart. Zuschüsse oder finanzielle Unterstützung gab es keine, dafür waren die Fristen längst abgelaufen. Dennoch gelang es mit viel Einfallsreichtum und Eigeninitiative, das Projekt »Mapping Right-wing Extremism« auf die Beine zu stellen.

Und auch dabei spielte D-A-S-H europe wiederum eine wichtige Rolle: Mithilfe der von D-A-S-H kostenlos bereitgestellten technischen Unterstützung konnte der fünftägige Workshop in Novi Sad so vorbereitet und organisiert werden, dass nur geringe Kosten entstanden. Möglich wurde dies dadurch, dass die Jugendlichen schon lange im Vorfeld der Veranstaltung über Mailinglisten und Webseiten direkt miteinander kommunizieren, sich kennen lernen und alle wesentlichen Entscheidungen gemeinsam treffen konnten.

Die Erfahrungen der D-A-S-H Mitarbeiter Susanne Lang und Florian Schneider waren dann aber auch vor Ort hilfreich, wenn es darum ging, kurzfristig auftretende Probleme zu lösen oder Fragen einer möglichst nachhaltigen Dokumentation und Nachbereitung des Workshops zu klären. Schließlich soll die Zusammenarbeit zwischen den jungen AktivistInnen aus Brandenburg und der Wojwodina kein einmaliges Ereignis, sondern Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit sein, deren Ergebnisse auch anderen Gruppen in Europa zur Verfügung stehen sollen, die sich in ähnlichen Situationen befinden.

Und so lässt sich die Philosophie, die hinter der europäischen Vernetzungsplattform D-A-S-H steckt, wohl am besten beschreiben: »Anstatt Jugendlichen eine angemessene Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit von oben herab zu verordnen, geht es vielmehr darum, die horizontale Vernetzung von Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen, die bereits in den verschiedensten lokalen Kontexten aktiv sind, zu befördern und zu bestärken«, sagt Florian Schneider, Projektleiter von D-A-S-H europe. Dies setze eine immer wieder neu zu legitimierende Infrastruktur voraus, die nicht institutionellen Zwängen ausgeliefert sein darf, sondern ausschließlich an den Bedürfnissen der Jugendlichen nach selbstbestimmter Vernetzung ausgerichtet ist.
Doch gerade bei soviel Flexibilität und Spontaneität sind solide Angebote, Transparenz, Glaubwürdigkeit, Geduld und ein langer Atem die Grundpfeiler des Erfolges. D-A-S-H versucht diese Prinzipien unter anderem durch eine systematische Orientierung auf Open-Source-Technologien zu verwirklichen: Der Quellcode aller verwendeten Programme, aber auch das Know-How, das in den Ergebnissen der Vernetzungsarbeit zu bergen ist, muss grundsätzlich öffentlich zugänglich sein. »Nur so kann gewährleistet werden, dass die Entwicklungen nachhaltig sind, jederzeit nachvollziehbar und von Jugendlichen eigenständig gestaltet und weiter vorangetrieben werden können«, sagt Schneider.

Verglichen mit den aufwendig gestalteten Produkten von Werbeagenturen mag die europäische Internetplattform D-A-S-H fast unscheinbar wirken. Doch der bewusste Verzicht auf spektakuläre Effekte und den üblichen Online-Firlefanz ist Programm: Im Mittelpunkt stehen die Aktivitäten der Jugendlichen und ihr Bedürfnis nach Austausch, Vernetzung und Zusammenarbeit. Die Struktur des Projektes D-A-S-H europe versucht dies basierend auf den Erfahrungen des deutschen Pilot-Projektes auf vier verschiedenen Ebenen umzusetzen: Vorstellung von Best-Practice-Projekten, Workshops und Trainings, Service und Support, sowie Recherche und Syndizierung von Inhalten. Im Unterschied zu den statischen Seiten der deutschsprachigen Version ist die Plattform D-A-S-H europe aber eher als ein kollaboratives Experiment, denn als repräsentatives Organ zu begreifen. Zum Ende der ersten Ausbauphase werden die bis dahin auf europäischer Ebene entwickelten und angepassten Inhalte, Angebote und Programme als eine eigenständige Software-Distribution veröffentlicht werden. So soll Jugendgruppen und Initiativen aus ganz Europa die Möglichkeit gegeben werden, die von D-A-S-H europe gemachten Entwicklungen in einer einfachen Installation selbst aufzusetzen und an den jeweiligen lokalen Kontext anpassen zu können.

Die Beispiele für Kollaborationen und Kooperationen, die bereits jetzt aus den Treffen, Workshops und Online-Angeboten von D-A-S-H heraus entstanden, sind vielfältig und ließen sich beinahe endlos fortführen: MedienaktivistInnen und VJs (Videokünstler) aus dem Süden Spaniens lernen junge KünstlerInnen und KuratorInnen aus Riga kennen und entwickeln eine ganze Serie gemeinsamer Projekte. Ein junger britischer Softwareentwickler, der sich in seinem neuen Projekt mit dem Fall der Berliner Mauer beschäftigt, kommt in Kontakt mit bundesdeutschen Archiven, in denen Videomaterial zugänglich gemacht wird. Slowenische und kroatische Computerspiel-Programmierer treffen sich mit US-amerikanischen Medienaktivisten, um die Potentiale für die gemeinsame Entwicklung eines Spieles auszuloten, das statt bloß Zerstreuung zeitgemäßes, politisches Bewusstsein vermitteln soll.

Immer bedeutsamer wird der direkte Austausch zwischen Programmierern und Code-Entwicklern einerseits und Anwendern, Aktivisten und Content-Produzenten andererseits. D-A-S-H europe leistet mit einigen Projekten Pionierarbeit: Von der Entwicklung, Erprobung und Propagierung des ersten Open Source Multimedia Codecs »Ogg Theora« über den Aufbau von Distributionsnetzen, die die Lasten speziell für hochbandbreitige Angebote auf vielen verschiedenen Schultern verteilen, bis hin zu einer Vielzahl von gemeinsam mit den fünf Partnerinstitutionen sowie dort assoziierten Einrichtungen vorangetriebenen Software-Projekten im Bereich Content-Management, Webhosting und Online-Collaboration. Davon profitieren die Jugendlichen, die sich in Novi Sad getroffen haben, ganz unmittelbar. Nachdem die Reise auf den Balkan längst zu Ende ist und die AktivistInnen sich wieder in den Kleinstädten der ostdeutschen Provinz mit ihren Alltagsproblemen herumschlagen müssen, geht die Zusammenarbeit mit den neuen Partnern aus Novi Sad erst richtig los: Im eigens eingerichteten Wiki – einer Webseite, die nicht nur angesehen, sondern auch eigenhändig editiert werden kann – werden Fotos, Filme, Texte von der Serbienreise hochgeladen, gemeinsam bearbeitet und weiterentwickelt. Jetzt schon wird der Gegenbesuch der AktivistInnen aus Novi Sad in Brandenburg geplant.

Doch die entscheidende Erkenntnis aus all der gemeinsamen Arbeit und den vielen Eindrücken vom Besuch beim Parlamentspräsidenten bis zum Gespräch mit Community Organizern im Roma-Lager vor Novi Sad bringt die 16-jährige Daniela aus Bernau bei Berlin auf den Punkt: »Das wichtigste ist die Erkenntnis, dass wir bei allen Schwierigkeiten, mit denen wir uns vor Ort herumschlagen müssen, eben nicht alleine sind. Und dass es überall Europa junge Menschen gibt, die in ganz anderen Situationen vor ähnlichen Herausforderungen stehen, die wir nur gemeinsam bewältigen können.«

Nächster Artikel: Weiterführende Materialien

Das Dossier # 12 befasst sich mit dem Zustandekommen der EU Verfassung und den Diskussionen, die sie ausgelöst hat sowie mit den Vorstellungen von einer europäischen Identität und was diese bestimmen könnte.

  1. EU-Verfassung und europäische Identität
  2. Von der Wirtschaftsgemeinschaft zum Nationalstaat?
    (Katharina Hamann)
  3. »Besser die als keine«
    (Sylvia-Yvonne Kaufmann)
  4. Demokratisierung der EU?
    (Norman Paech)
  5. Wofür dient eine europäische Identität?
    (Dr. Jochen Roose)
  6. Europas Suche nach einer kollektiven Identität
    (Anna Pollmann)
  7. Gleichstellung der Frauen im Verfassungsentwurf
    (Mercedes Mateo Diaz, Susan Millns)
  8. Gegen diesen EU-Verfassungsentwurf
    (Tobias Pflüger, MdEP)
  9. Die Militarisierung Europas
    (Redaktion Informationen zur Deutschen Außenpolitik)
  10. Flüchtlingsabwehr und Lagerpläne
    (Cornelia Gunßer, Flüchtlingsrat Hamburg)
  11. Fortress Eastern Europe
    (Laure Akai, Bez Granic (polnische Organisation »Ohne Grenzen«))
  12. Einmal Novi Sad und zurück
    (Suse Lang, D-A-S-H europe)
  13. Weiterführende Materialien