Deutsche Einwanderungspolitik

von Anna Pollmann

Rational irrational – Das neue Zuwanderungsgesetz schreibt migrationspolitische Kontinuitäten in Deutschland fort

Deutschland ist seit 1999 offiziell Einwanderungsland. Das solch euphorischer Feststellung nach zähen Debatten folgende »Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung« beweist das genaue Gegenteil. Nach einer vierjährigen Odyssee durch Kommissionen, Parteifraktionen, die parlamentarischen Instanzen und das Bundes-verfassungsgericht ist seit 1.1.2005 ein Gesetz in Kraft, dessen Modernität und Offenheit lediglich in einer Flexibilisierung staatlichen Migrationsmanagements steckt, welches seit jeher zwischen nationalen Nützlichkeitserwägungen und strukturellem Rassismus changiert.

Dossier #15: Eckpunkte der Diskussion um das neue Zuwanderungsgesetz für Deutschland, "offene Grenzen", die Visa-Affäre, Einreise und Einwanderung in Europa

  1. Einreise und Zuwanderung in Deutschland
  2. Deutsche Einwanderungspolitik
    (Anna Pollmann)
  3. Das »neue« Einwanderungsgesetz
    (Doris Müller)
  4. Interview mit Volker Maria Hügel
  5. Neuregelung der jüdischen Einwanderung
    (Daniela Schmohl)
  6. »Hier geblieben – Es gibt kein Weg zurück!«
  7. The VOICE Refugee Forum in Deutschland
  8. MOV!NG ON
    (Zala T. S. Unkmeir)
  9. Weiterführende Materialien

Der große Paradigmenschwindel

Die »Einwanderungsfrage« stand seit dem Regierungswechsel 1998 auf der rot-grünen Agenda. Der Aspekt der Modernisierung durchzog innen- wie außenpolitische Konzepte der neuen Bundesregierung. Mit der Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland sollte dumpfem Nationalismus eine Absage erteilt und der Republik einen weltoffeneren Touch verliehen werden. Doch schon der gut gemeinte Versuch der neu angetretenen rot-grünen Bundesregierung, das veraltete, am ius sanguinis orientierte Staatsbürger-schaftsrecht(1) zu reformieren und eine BRD zu präsentieren, »die sich vom Völkischen entfernt« (TAZ) scheiterte am Erfolg einer rassistischen Unterschriftenkampagne der CDU.(2) Von einer grundlegenden Reform wurde sich zugunsten kleiner Erleichterungen verabschiedet, nicht ohne noch einige Hürden als Einbürgerungsvoraussetzungen einzubauen.

(1) Erklärung: ius sanguinis: lat. »Recht des Blutes« – Abstammungsprinzip der Staatsangehörigkeit. Die deutsche Staatsangehörigkeit wird durch Geburt erworben, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, eine Annahme als Kind erfolgt oder durch Einbürgerung, nicht aber durch Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen.
(2) Informationen zur rassistischen Unterschriftenkampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, Ein zündendes Thema in der Jungle World vom 13. Januar 1999

Nachdem der zivilgesellschaftliche Vorstoß wesentliche in der Verfassung vereinbarte Grundrechte auch Nicht-Deutschen zuzugestehen an der bundesweiten Behauptung völkischer Exklusivität gescheitert war, wurde der Versuch, Deutschlands Einwanderungsgesetzgebung zu flexibilisieren, bis auf weiteres verschoben.

Gute Gelegenheit zum Anstoß einer öffentlichen Debatte über ein Zuwanderungsgesetz bot Schröders so genannte Green Card – Initiative zur CeBIT 2001, bei der er auf Drängen der IT-Branche zur offensiven Anwerbung ausländischer akademischer FacharbeiterInnen aufrief.

Ein genauerer Blick auf die seit August 2001 geltende Zusatzverordnung über die »Aufenthalts, – und Arbeitserlaubnis für IT-Fachkräfte« offenbart zweierlei. Die medienwirksame Titulierung als »Green-Card« war nicht mehr als eine geschickte Imagekampagne, denn die Verordnung beinhaltete keineswegs die Möglichkeit der Einbürgerung, wie ihre Namensgeberin in den Vereinigten Staaten. Sie schrieb lediglich die Möglichkeiten staatlicher Steuerung von Arbeitsmigration Hochqualifizierter, die schon seit 1991 in der Verordnung über Arbeitsaufenthalt und Arbeitsgenehmigung bestand, noch einmal fest, war also nicht mehr als eine »modernisierte Variante des altbekannten Gastarbeitermodells«.(3) Im Fall von Fachkräftemangel sollte ausländischen Arbeitskräften der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt gewährt werden, allerdings mit Einschrän-kungen: Eine Aufenthaltsfrist von maximal fünf Jahren, die Bindung an einen konkreten Arbeitgeber und eine Vereinbarung über damals 100.000 DM Mindestlohn schreckten die meisten der begehrten SpezialistInnen eher ab. Medienwirksam wird die Notwendigkeit vermittelt demographische und arbeitsmarktrelevante Defizite auszugleichen. Der Staat sieht sich als Vermittler, er will der Wählerschaft einerseits den Bedarf an selektiver Arbeitsmigration klar machen, andererseits die Angst vor ungezügelter Einwanderung nehmen. Mit dem expliziten Verweis auf den Standort Deutschland sollte eine partielle Öffnung für Einwanderung ermöglicht werden.

Zu vorschnell wurden Schröders Vorstoß und das Vorhaben der rot-grünen Koalition, die »Einwanderungsfrage« zu modernisieren als großer migrationspolitischer Paradigmenwechsel gewertet. Viele gesellschaftliche Gruppen sahen die Ablösung des Ausländerrechts als Fremdenabwehrrecht durch eine weltoffene Zuwanderungsregelung (4) nahen. Selbst antirassistische Initiativen wie die ARAB (5), vermuteten in der erwachenden Einwanderungsdebatte die Abkehr vom altmodischen völkischen Rassismus hin zu einem modernen »Leistungsrassismus« und übersahen dabei, wie vorrangig standortökonomische Überlegungen mit völkisch nationalistischen gekoppelt wurden. Von einer Auflösung des Rassismus zugunsten des Leistungsprinzips kann angesichts des Rückgriffs auf rassistische Differenzierungen für das kapitalistische Konkurrenzprinzip nicht die Rede sein.(6)

(4) Vgl. Pro Asyl, »Reformruine Zuwanderungsgesetz«, 1/2002
(5) Antirassismusbüro Bremen, Thesenpapier Antirassismus 2000
(6) Rassismus vs. Kapitalismus, in: Phase 2/02

Zudem war das »Reformprojekt Einwanderung« eng mit dem 1993 zwischen CDU-Regierung und SPD-Opposition ausgehandelten Asylkompromiss – der völkisch motivierten Abschaffung von Art. 16a Grundgesetz – verbunden. »Die Demontage des Asylrechts fand aufgrund einer Reihe von Vereinbarungen eine breite parlamentarische Mehrheit: Einbürgerungserleichterungen für die ’zweite Generation’, die Reform des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts, […], die Option auf eine kommende ’Regelung zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung’ in Form eines Einwande-rungsgesetzes. Unter dem Terminus ’Asylkompromiss’ firmierte nichts anderes als der erste ’Migrationskompromiss’ der deutschen Nachkriegszeit, und als solcher war er eine wirkungsmächtige Vorlage für die rot-grünen Modernisierungspläne.«(7)

The Finest Selection: Zuwanderung begrenzen und steuern

Der »Geist der sommerlichen Einwanderungsdebatte«(8) war schnell verflogen. Die nach und nach vorgelegten Zuwanderungskonzepte zeigten schnell, dass der Fokus der Gesetzgebenden auf »Steuerung und Begrenzung« lag. Schien die Proklamation Deutschland sei Einwanderungsland zumindest partiell eine Annäherung an die gesell-schaftliche Realität der Einwanderung, sprachen allein die Titel der Konzepte »Zuwanderung steuern und begrenzen« (Positionspapier von CDU/CSU), »Zuwanderung gestalten, Integration fördern« (Bericht der Süssmuth-Kommission) oder »Steuerung, Integration, innerer Friede« (Eckpunkte der SPD-Bundestagsfraktion) eine eindeutige Sprache: eine fein differenzierte Vergabe von Aufenthaltstiteln und Privilegien je nach Nutzen für den Standort Deutschland. Bereits die Rede von Zuwanderung statt von Einwanderung illustriert die zugrunde liegende Steuerungsprogrammatik.

Die außerparlamentarische »Süßmuth-Kommission« wurde eingesetzt wegen linker Kritik in der eigenen Koalition und der linksliberalen Presse und band Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände in die Debatte ein. Ihr Konzept flexibilisierter Kontrolle sah ein ausgeklügeltes Selektionssystem nach Punkten vor, bei dem je nach Alter, Qualifikation, gesichertem Lebensunterhalt, Deutschkenntnissen und Integrationsfähigkeit ein dauerhafter, rechtlich abgesicherter Aufenthalt zu gewinnen war.

Die andere Seite der Medaille: ein restriktiverer Umgang mit arbeitsmarktunrelevanter Einwanderung, der Asylmigration. Positive Empfehlungen, wie z.B. eine Legalisierungs-regelung, die immerhin über 1 Mio. in Deutschland lebende MigrantInnen betroffen hätte, wurden im August 2001 mit dem Referentenentwurf Schilys vom Tisch gefegt, mit dem schon zu Beginn der Debatte der Schulterschluss mit den CDU regierten Ländern gesucht wurde. PRO ASYL bewertete den Schilyentwurf als »weitreichendsten Beitrag zur Entrechtung von Asylsuchenden und Geduldeten seit dem Asylkompromiss 1992«.(9) »Es scheint als hätten die Ideologen des Abschiebeapparats akribisch alle Punkte aufgelistet, die Migranten und Migrantinnen bis dato als Schlupflöcher nutzten und die eine relative Autonomie der Migration gegenüber staatlicher Politik bedeuteten.«(10)

(8) Vgl. Vera Gaserow, FR vom 13.12.2001
(9) s. Pro Asyl, Reformruine Zuwanderungsgesetz, 1/2002
(10) Vgl. Kanak attak, Kommentar zum Zuwanderungsgesetz

Spätestens in Verbindung mit der Verabschiedung des Anti-Terror-Pakets II in Folge des 11. September 2001 wurde deutlich, dass die Bundesregierung im Umgang mit Migration keine neuen Felder beackerte, sondern die gesetzliche Konstruktion von »Ausländern« als ordnungsrechtlichem Risiko fortführte. Unter dem Deckmantel »Terrorbekämpfung« gelang es, ausländerrechtliche Kontrollmechanismen, die im Entwurf des Zuwanderungs-gesetzes vorgesehen waren, ad hoc durchzubringen. So gehen beim Thema Terrorismus-bekämpfung kapitalistische Verwertungslogik und Rassismus Hand in Hand. Denn trotz allgemein fortschreitender Perfektionierung von Überwachung, trifft die Erfassung im Ausländerzentralregister und Schengener Informationssystem, sowie die Möglichkeit der Rasterfahndung in erster Linie Nicht-EU-BürgerInnen. Die jederzeit abrufbereite Datenmenge dient neben Stigmatisierung und Disziplinierung der erfassten Menschen auch deren Einteilung in die Kategorien nützlich und unnütz für den Standort. Andererseits wohnt dem Ruf nach mehr Sicherheit und Abschottung auch ein irrationales Moment inne, dass die Logik der Einwanderungsdebatte ein Stück weit untergrub, in dem aus zuvor noch gepriesenen Hochqualifizierten potentielle Attentäter wurden.

Zwar machte sich schon der erste Gesetzesentwurf keinesfalls verdächtig, Migration oder den Lebensstandard in der BRD lebender MigrantInnen zu erleichtern, dennoch lehnten die CDU-regierten Länder die Gesetzesvorlage ab. Strittige Punkte waren die Punkte-regelung für den Zuzug Hochqualifizierter, das Kindernachzugsalter, die Integrations-verordnung, sowie sicherheitspolitische Überlegungen im Zusammenhang mit den sogenannten »Hasspredigern«.

Einwanderung (Revue) passiert

»Der innerhalb der letzten drei Jahre zu beobachtende, fast schon überraschende Diskurswechsel in der politischen Diskussion zu den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und zu den notwendigen Schlussfolgerungen für die Einwanderungspolitik […] wirft die Frage auf, ob die Situation sich tatsächlich geändert hat, oder ob die Wahrnehmung nur eine andere geworden ist.«(11) Die Einschätzungen eines Paradigmenwechsels hat der Verlauf der Debatte ad absurdum geführt.

(11) Elmar Hönekopp, Arbeitsmarktentwicklung, Arbeitskräftebedarf und arbeitsmarktorientierte Einwanderung, in: »Zwischen dosierter Öffnung und Verschärfter Kontrolle«, Dokumentation, FES 2003, S. 24.

Auch ein Blick über die jüngere Geschichte hinaus offenbart historische Kontinuitäten. Hatten Unternehmen von jeher Interesse an einer flexibel gehandhabten Einwanderungspolitik, versuchte der Staat zwischen solcherart standortnationalistischen und demo-graphischen Interessen und einem tief verwurzelten völkischen Rassismus der Bevöl-kerung zu vermitteln. Der Streit, wie am besten fremde Arbeitskraft ausgebeutet werden könnte, ohne dabei auch nur eine annähernde rechtliche Gleichstellung der so ausgenutzten zu gewähren, zieht sich durch die Geschichte deutscher Ausländergesetzgebung.

So weisen die Debatten des 19. Jahrhunderts zur Beschäftigung polnischer Saisonarbeiter in der ostpreußischen Agrarwirtschaft wie auch um die so genannten »Gastarbeiter-abkommen« der 1970er Jahre, dieselben Strukturen auf. Ökonomische Engpässe sollten überwunden, ein dauerhafter Aufenthalt verhindert werden. Dem Rassismus der Bevöl-kerung wurde damals mit wohnräumlicher Isolation der Arbeitskräfte, heute vermehrt mit dem Zwang zur Integration begegnet. Die dem ökonomischen Interesse geschuldete Forderung nach selektiver Einwanderung, die dumpfe »Das-Boot-ist-voll« Rhetorik oder die »Leitkulturdiskussion« sind vor diesem Hintergrund eher als Diskursverschiebungen denn als Brüche zu werten.(12)

(12) Vgl. dazu auch das D-A-S-H Dossier #9 Prekäre Arbeit und Migration

Historisch betrachtet waren Frauen und Nicht-Weiße von jeher aus dem Universum des bürgerlichen Gleichheitsversprechens ausgeschlossen und wurden nach und nach entlang rassistischer bzw. sexistischer Zuschreibungen von Minderwertigkeit partiell und un-gleichwertig in den Arbeitsmarkt integriert. Über diese Form der Integration konnten sie sich in gewissem Maße gesellschaftliche Anerkennung und Rechte erarbeiten, die anderen qua Geburt zustanden.

Mit der wachsenden Massenarbeitslosigkeit und den steigenden Anforderungen an die Bereitschaft zur Arbeitskraftverwertung verändern sich auch die Bedingungen für Zu-wanderung. Nicht nur die Frage der Hautfarbe oder männlicher Attribute motiviert eine Anerkennung im System der kapitalistischen Vergesellschaftung, immer wichtiger für den Einschluss wird der Aspekt der Beschäftigung bzw. der allgegenwärtigen Bereitschaft dazu. Die Abwertung aufgrund von Herkunft oder Geschlecht geht eine Verbindung mit dem Ausschluss aus dem System (regulärer) Arbeit überhaupt ein und gewinnt damit eine neue Qualität.(13) Mit Hartz IV und den steigenden Anforderungen an die Bereitschaft zur Arbeitskraftverwertung verändern sich auch die Bedingungen für MigrantInnen. Es darf angenommen werden, dass von staatlicher Seite neben der Integration einiger Hochqualifizierter in gesteigertem Maße auch der zunehmende Ausschluss von Nicht-Deutschen aus dem System der Arbeit verwaltet wird. »Die Abwertung aufgrund von Herkunft oder Geschlecht geht eine Verbindung mit dem Ausschluss aus dem System (regulärer) Arbeit überhaupt ein und gewinnt damit eine neue Qualität.«(14)

(13) Karl-Heinz Lewed, Ausschluss und Zwang – Migration, Rassismus und prekäre Arbeitsverhältnisse, in: Flüchtlingsrat – Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, Heft 5/04, S. S.14.
(14) Karl-Heinz Lewed, s.o., S. 11.

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