Das »neue« Einwanderungsgesetz. Was besagt es?

von Doris Müller

The worst case? Das neue Zuwanderungsgesetz

Das neue Gesetz(1) wird von der Bundesregierung nicht mehr als einwanderungs-politisches Novum, sondern als gelungener Kompromiss zwischen ökonomisch motiviertem Bedarf nach Zuwanderung und der Abwehr unerwünschter MigrantInnen beworben. Als Zusammenfassung bereits jahrelang angewandter Rechtsverordnungen und rassistischer Verwaltungspraktiken schreibt das Gesetz einwanderungspolitische Kontinuität in Deutschland fort. Niemand formuliert das treffender, als der Gesetzgeber selbst: Das Gesetz, heißt es in Paragraf Eins, »ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaft-lichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland.« Humanitäre Verpflichtungen spielen erst im Nachlaut eine Rolle und entsprechend negativ fällt das Urteil von Flüchtlingslobby(2) und Flüchtlingsselbstorganisationen(3) aus.

Dossier #15: Eckpunkte der Diskussion um das neue Zuwanderungsgesetz für Deutschland, "offene Grenzen", die Visa-Affäre, Einreise und Einwanderung in Europa

  1. Einreise und Zuwanderung in Deutschland
  2. Deutsche Einwanderungspolitik
    (Anna Pollmann)
  3. Das »neue« Einwanderungsgesetz
    (Doris Müller)
  4. Interview mit Volker Maria Hügel
  5. Neuregelung der jüdischen Einwanderung
    (Daniela Schmohl)
  6. »Hier geblieben – Es gibt kein Weg zurück!«
  7. The VOICE Refugee Forum in Deutschland
  8. MOV!NG ON
    (Zala T. S. Unkmeir)
  9. Weiterführende Materialien

Diese konstatieren zunächst einige wenige materiell-rechtliche Verbesserungen für Flüchtlinge. So haben Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung die Möglichkeit, als politisch Verfolgte im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt zu werden. Nunmehr können also auch Menschen, die durch paramilitärische Organisationen, von lokalen Warlords1 oder in Bürgerkriegen verfolgt werden, Abschiebeschutz genießen. Von der Aufnahme geschlechtsspezifischer Fluchtgründe werden vor allem Frauen, die damit im Asylverfahren bisher häufig nicht durchdrangen, profitieren. Als weitere Neuerung positiv hervorgehoben wird die Einrichtung von Kom-missionen der Länder, die in Härtefällen den Ausländerbehörden empfehlen, ein Bleiberecht zu gewähren, auch wenn die gesetzlichen Vorgaben dafür nicht erfüllt sind.

Auf fast allen anderen rechtlichen und sozialen Ebenen verschärft und perfektioniert das Zuwanderungsgesetz den Ausschluss und manifestiert die Aufspaltung von MigrantInnen in »verwertbare Arbeitskraft« und unerwünschte Flüchtlinge. Die meisten der Verschlech-terungen treffen Asylsuchende im laufenden Verfahren und Menschen ohne Aufenthalts-titel, also mit einer Duldung abgespeiste und vollständig Illegalisierte.(4)

(1) Beim Zuwanderungsgesetz handelt es sich um ein Artikelgesetz, das neben dem eigentlichen Aufenthaltsgesetz (Artikel Eins ZuwandG) zahlreiche Anpassungen und Änderungen weiter bestehender Gesetze (Artikel 2 bis 15) umfasst.
(2) Vgl. z.B. Pro Asyl, Das Zuwanderungsgesetz, August 2004; Niedersächsischer Flüchtlingsrat, Flüchtlinge in Deutschland, November 2004.
(3) Vgl. z.B. The Voice
(4) Zwar ist das Gesetz zu kurz in Kraft um en detail verlässliche Aussagen über Veränderungen in der Praxis abgeben zu können, davon, dass sich an restriktiver Auslegung und Ermessensausübung seitens der Ausländerbehörden nichts ändern wird, darf jedoch getrost ausgegangen werden.

Für Asylsuchende mit laufenden Verfahren entfällt künftig der Anspruch auf eine unbe-fristete Aufenthaltserlaubnis. Die neue unbefristete Niederlassungserlaubnis wird erst erteilt, wenn das zuständige Bundesamt die Anerkennung als AsylberechtigteR nach 3 Jahren nicht widerruft. Anerkannte Verfolgte können sich über Jahre nicht endgültig sicher fühlen.

Neu ist auch, dass (exil-) politische Tätigkeiten als selbst geschaffene Nachfluchtgründe bewertet werden, also bei der Feststellung drohender politischer Verfolgung keine Rolle mehr spielen.

Die von der Bundesregierung, als Vereinfachung verkaufte Reduzierung der Aufenthalts-titel auf (befristete) Aufenthaltserlaubnis und (unbefristete) Niederlassungserlaubnis ist eine glatte Lüge. Die inhumane Duldung wird es weiter geben. Insbesondere die Praxis der Kettenduldungen, die im Abstand von Monaten, Wochen oder gar Tagen bei der Aus-länderbehörde erneuert werden müssen, bleibt aufgrund weiter Ermessensspielräume auf der Tagesordnung. Eine Altfallregelung sucht man im neuen Gesetz vergeblich.

Menschen ohne Aufenthaltsstatus, die zumeist in den »modernen Dienstleistungs-sektoren« wie Reinigung, Gaststättengewerbe oder Prostitution arbeiten, sind auch in Zukunft von allen sozialen und medizinischen Hilfen ausgeschlossen. Eine Stichtag-regelung zur Legalisierung – praktiziert in vielen anderen europäischen Ländern – wird es nicht geben.

Die rassistischen Institutionen Abschiebehaft, Flughafenverfahren und Residenzpflicht werden unverändert weitergeführt. Die seit längerem in einigen Bundesländern prak-tizierte Unterbringung von Flüchtlingen in so genannten »Ausreisezentren«, wird durch das Gesetz nun legalisiert und entsprechend zunehmen.(5) Eine maximale Unterbrin-gungsdauer ist dabei nicht geregelt. Neu an diesen Abschiebeanstalten sind die extrem menschenunwürdige Unterbringung und der offensive psychologische Druck, der in so genannten Beratungsgesprächen bzw. differenzierten Sanktionsmaßnahmen auf die Flüchtlinge ausgeübt wird. Kaum verhohlenes Ziel ist die »freiwillige« Ausreise bzw. die massenhafte Illegalisierung und damit totale Entrechtung der Menschen. Sachzwang-Argumente, die in den 80er Jahren in Deutschland bei der massenhaften Einrichtung von Sammelunterkünften für Flüchtlinge angeführt wurden, werden nicht einmal mehr bemüht.

(5) Zur Problematik der »Ausreisezentren« beim Dokumentationszentrum. Siehe auch der Eintrag »Ausreisezentrum« bei Wikipedia.

Der Logik des Terrorismusbekämpfungsgesetzes folgend werden ausländerrechtliche Fragen noch stärker als solche der Sicherheit behandelt. Die Ausweisungsgründe wurden erweitert, wobei die neuen Ausweisungstatbestände allesamt sehr unbestimmt sind. Eine auf Tatsachen gestützte Prognose erlaubt bereits Aufenthaltsbeendigung und Haft. Die Regelausweisung der Leiter verbotener Vereine und eine Ermessensausweisung für so genannte geistige Brandstifter ermöglichen künftig selbst die Ausweisung verbaler UnterstützerInnen politischer Exilgruppen. Im Zusammenhang mit der weiten inter-nationalen Definition von Terrorismus, droht nicht nur islamistischen Predigern, sondern auch UnterstützerInnen der Cocabauern und -bäuerinnen in Kolumbien die Ausweisung. Eine wie auch immer geartete politische Betätigung von MigrantInnen wird immer mehr verunmöglicht, gleichzeitig steht die rassistische Unterstellung, AusländerInnen seien per se gefährlich, noch unverhohlener als bisher im Gesetz.

Auch die Kontingentregelungen für bestimmte Einwanderergruppen, deren Zuwanderung nicht mit Arbeitskräftebedarf zusammenfällt, bedurften mit der Einführung des Gesetzes einer Neuregelung. Heraus sticht in diesem Zusammenhang ein Beschluss der Innen-ministerkonferenz vom Dezember letzten Jahres, die den Zuzug jüdischer EmigrantInnen und deren Familienangehöriger nach Deutschland ab dem 1. Januar 2005 beschränkt. Laut dem Beschluss sollen nur noch diejenigen jüdischen AuswandererInnen ohne Vorbe-halte aufgenommen werden, die bereits eine Zusage eines Bundeslandes, mithin aus-reichende Deutschkenntnisse und die Einladung einer jüdischen Gemeinde nach-weisen können. Das betrifft rund 27.000 Menschen. Weitere 27.000 Juden und Jüdinnen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion haben bis zum 1. Januar keine Aufnahme-zusage deutscher Behörden erhalten. Über sie wurde im Juni unter massiven Protesten des Zentralrates der Juden und PolitikerInnen der Koalition entschieden.(6)

(6) z.B. Claudia Roth in der Jüdischen Allgemeinen vom 13.01.2005

Gebrochen wird damit ein letztes einwanderungspolitisches Tabu, dass im Kontext deutscher Vergangenheitsentsorgung doch schon längst keins mehr ist.

Soviel Ökonomie war nie? Migration und Arbeit

Wirkliche Neuerungen bringt das neue Gesetz auch im Bereich Arbeitsmigration nicht. Zusammen mit zwei neuen Beschäftigungsverordnungen(7) beschränkt es den vorbehalt-losen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt auf die InhaberInnen einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis, Asylberechtigte, Familienangehörige Deutscher und zahlreiche Ausnahmetatbestände, von WissenschaftlerIn bis SpitzensportlerIn. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Beschäftigungen, für die auch schon in den seit 1991 bestehenden Verordnungen über Arbeitsaufenthalt und Arbeitsgenehmigung eine Befreiung von der Arbeitsgenehmigungspflicht vorgesehen war. Auch die so genannten Hochqualifizierten konnten danach bereits in den privilegierten Genuss einer Arbeits- und Aufenthalts-genehmigungen kommen. Die als Green Card bekannte Regelung wird als Zulassung zu qualifizierten Beschäftigungen im IT-Bereich ebenso fortgeführt wie auch die befristete Einreise für SaisonarbeiterInnen, KünstlerInnen und SpezialitätenköchInnen fast wort-genau übernommen wurde. Neu ist, dass Hochqualifizierten sofort ein Daueraufenthalt inklusive Familiennachzug gewährt werden kann. Wohl eine Konsequenz aus der schlechten Resonanz der begehrten SpezialistInnen auf die halbherzige Greencard-regelung.

(7) Beschäftigungsverordnung und Beschäftigungsverfahrensverordnung vom 22.11.2004

Für alle anderen gilt weiter das so genannte Inländerprimat: Die Agentur für Arbeit prüft getreu dem Motto »Arbeit zuerst für Deutsche«, ob deutsche Staatsangehörige oder EU-BürgerInnen, für einen freien Arbeitsplatz zur Verfügung stehen und »sich durch die Beschäftigung nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben«. Letzteres kann je nach Arbeitsmarktlage ein generelles Arbeitsverbot für bestimmte Berufszweige bedeuten.

Die betroffenen MigrantInnen kommen – wenn überhaupt – in entsprechend schlecht bezahlten, zeitlich befristeten und körperlich stark belastenden Arbeitsverhältnissen unter. Die rassistische und geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes wird sich dadurch verstärken.

Die mit Harz IV einhergehende weitgehende Abschaffung von Zumutbarkeitsregelungen für Arbeitslose mit deutschem Pass werden sich nachteilig auf die Arbeitsmarktchancen von MigrantInnen und Flüchtlingen auswirken und das faktische Arbeitsverbot für MigrantInnen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang noch verschärfen. Die Arbeitsagen-turen werden bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen an Flüchtlinge und MigrantInnen noch restriktiver vorgehen. Zu erwarten ist, dass zukünftig auch Menschen mit deutschem Pass und rechtlich gleichgestellte MigrantInnen vermehrt auf Arbeitstellen vermittelt werden, für die sie eigentlich überqualifiziert sind und die bisher von Menschen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang wahrgenommen wurden.(8) Die Zugangschancen zu regulären Beschäftigungsverhältnissen sinken, und MigrantInnen werden immer mehr aus dem legalen Arbeitsmarkt hinaus in den informellen Sektor abgedrängt. Rassismus spielt bei der Herstellung und Durchsetzung unzumutbarer Lebensverhältnisse eine nicht zu unterschätzende legitimatorische Rolle. Er beseitigt alle Skrupel, den Marginalisierten ein absolut unwürdiges Leben zuzumuten. In diese Richtung zielt auch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Asylbewerberleistungsgesetzes. Auch Flüchtlinge mit Aufenthaltsstatus aus humanitären Gründen und all jene, die nach Ansicht der Behörden »die Dauer ihres Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben«, kommen künftig in den »Genuss« dieser Versorgung auf niedrigstem quantitativem und qualitativem Niveau.

(8) Vgl. Gernot Eisermann, Auswirkungen der arbeitsmarktpolitischen Veränderungen auf MigrantInnen und Flüchtlinge, in »Flüchtlinge in Deutschland«, Flüchtlingsrat Niedersachsen November 2004.

Die enge Verknüpfung der Aufenthaltstitel mit der Arbeitserlaubnis hat für MigrantInnen und Flüchtlinge weitreichende Folgen: Beide Aufenthaltstitel werden in der Regel nicht ohne die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erteilt werden können. Während bisher die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis auch dann möglich ist, wenn noch für sechs Monate ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bestand, bekommen ALG II-Empfänger in Zukunft keine Niederlassungserlaubnis. Der Arbeitsplatz wird für das Bleiberecht zum immer entscheidenderen Kriterium. Dass dabei der hochqualifizierten Fachkraft weniger Hürden auf dem Weg zu einem dauerhaften Aufenthalt mit rechtlicher und sozialer Absicherung aufgestellt werden, als der zur Überbrückung von saisonalen Engpässen im Niedriglohnsektor eingestellten Arbeitskraft, ist nichts Neues.

Soviel Ökonomie war nie? Das Reden von der Integration

MigrantInnen, die es schaffen, ihre ökonomische Nützlichkeit unter Beweis zu stellen, haben damit noch lange keine Eintrittskarte nach Deutschland sicher. Sie sollen sich »erst einmal integrieren«. Die Verankerung des »Integrationsimperatives«(9) im neuen Zuwan-derungsgesetz stellt klar, dass Rassismus nicht nur im Zusammenhang mit Ressourcen-verteilung und kapitalistischer Wertschöpfung gedacht und bekämpft werden kann.

(9) von Peter Müller, Zuwanderungsexperte der CDU, geprägter Begriff.

Es geht um die altbekannte Verbindung zwischen ökonomischem und nationalistischem Kalkül: Ausschlaggebend ist die »Integrationsfähigkeit« in den deutschen Arbeitsmarkt und die leitkulturellen Bilderwelten der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Dass ein »Regulierungsmodell, bei dem Hochqualifizierte quasi adoptiert und niedrig Qualifizierte rechtlich ausgegrenzt werden, […] zwar ökonomisch funktionstüchtig, aber sozial hoch problematisch« ist, werden auch VertreterInnen der liberalen Variante von Migrations-management nicht müde zu betonen.(10) Im Zuge der Diskursverschiebung bei der Debatte um das Zuwanderungsgesetz ist von dieser Erkenntnis nur mehr das irrationale rassistische Ressentiment geblieben. Wer nicht bis auf Haar und Handgeben deutschem Mittelmaß gleicht, kann derzeit nicht einmal für sich in Anspruch nehmen, kulturell bereichernd zu sein. Er oder sie gilt als potentielle Gefahr. So berechtigt und wichtig die Kritik am Multikultikulturalismus(11) ist, so sehr ist dieser Blickwinkel für MigrantInnen im deutschen Alltagsgeschäft ein Unterschied ums Ganze.

(10) Vgl. Dita Vogel, Thesen zur Zuwanderung im Arbeitsmarkt der Zukunft, in »Zwischen dosierter Öffnung und Verschärfter Kontrolle«, Dokumentation, FES 2003.
(11) Zur Kritik am (multi)kulturalistischen Rassismus vgl. z.B. Serhat Karakayali, Der Kampfbegriff – Vom Elend des Multikulturalismus und der Kritik an ihm, in: informationszentrum 3. welt (iz3w) 263/2002, S. 36.

Unabhängig von der Konjunktur des völkischen und kulturalistischen Diskurses impliziert die Integrationsdebatte die Annahme, dass über unveräußerliche Rechte gesellschaftlicher Teilhabe selbstverständlich vom deutschen Kollektiv verfügt wird: »Das Sprechen über Integration erlaubt eine Unterscheidung zwischen den Deutschen und den so genannten Ausländern.« lautet die Analyse von kanak attak. »Nun kann so getan werden, als seien Rechte einzig in der Gesetzgebung verankert, gehörten den Deutschen und seien etwas, dem MigrantInnen sich anzupassen haben. Und zwar deshalb, weil durch eine fehlende Legalisierung immer die Möglichkeit bestehen soll, die Illegalisierten bei Bedarf auch wieder rauszuschmeißen.«(12)

(12) Interview mit kanak attak in der Wochenzeitung »Freitag« vom 10.12.2004.

In dieses Gesamtbild fügt sich auch die Verordnung von so genannten Integrationskursen durch das neue Gesetz. MigrantInnen müssen prinzipiell Deutsch lernen, während ihre Rechte unsicher und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen prekär bleiben. Neuzuwanderer erhalten das Recht bzw. nach Ermessen der Ausländerbehörde die Pflicht, einen Deutschkurs zu belegen. Statt Angeboten für bereits hier lebende MigrantInnen wurde im Vermittlungsausschuss das Gegenteil durchgesetzt: Im eigenen Ermessen sollen die Ausländerbehörden entscheiden können, wen sie zur Teilnahme verpflichten. Die Durchführung der Kurse soll mit möglichen ausländerrechtlichen und sozialen Sanktionen flankiert werden: Ein »erfolgreich abgelegter Abschlusstest« wäre zukünftig zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder für den Bezug der Sozial-leistungen in voller Höhe nötig.(13) Mit 600 Unterrichtsstunden soll dabei ein Sprachniveau entsprechend dem deutschen Realschulabschluss erreicht werden, was nach Aussage von Fachleuten nur in Ausnahmefällen bei besonderer Sprachbegabung erreicht werden kann. Hervorgehoben wird die zusätzliche Vermittlung von Kenntnissen über das gesellschaft-liche und politische System der BRD, was als Bestandteil eines qualifizierten Deutsch-kurses eigentlich keiner Erwähnung bedürfte, hier aber impliziert, AusländerInnen hätten ein Problem mit demokratischen, also deutschen Grundwerten.

Europa mitdenken

Die Europäisierung vormals nationalstaatlich definierter Interessen und Regelungskompetenzen erforderte Anpassung und veränderte Interessenpolitik auch in der Asyl- und Einwanderungspolitik. Dass Deutschland gerade auf dem Gebiet der Flüchtlings-abwehr zu den Triebkräften einer Vergemeinschaftung zählt ist bekannt. Ebenso die Interessenlage: das Absenken nationaler Standards. Im Zuge der Verlagerung der Asylpolitik von nationalstaatlicher in europäische Zuständigkeit soll das individuell

einklagbare Recht auf Asyl aufgehoben werden. Abgelöst werden soll es durch das Konzept der so genannten »heimatnahen Versorgung«.(14)

(13) Da für die Finanzierung der Integrationskurse Anstrengungen von beträchtlicher Größenordnung nötig sind, fürchten Wohlfahrtsverbände zudem, dass die Integrationskurse als Pflichtangebot finanziert werden, die sonstige Migrationssozialarbeit als »Luxus« unter Druck geraten wird.
(14) Diese Idee Schilys, geht auf den Vorschlag Tony Blairs zurück, Auffanglager in der Nähe von Krisenregionen einzurichten, dort die Asylverfahren durchzuführen und Flüchtlinge nach einem festen Schlüssel auf die europäischen Staaten zu verteilen. Seinerzeit wies Schily Blairs Idee mit der Begründung zurück, solche Einrichtungen hätten eine Art »Sogwirkung« auf Flüchtlinge. Außerdem befürchtete er, das Kontingent der Flüchtlinge, die dann in die BRD einreisen dürften, könne zu hoch sein. (Womit er gemessen an den derzeitigen Asylverfahrenszahlen Recht hat. Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge erreichte im vergangenen Jahr mit 32.864 einen neuen Minusrekord. Die Anerkennungsquote lag im letzten Jahr bei 1,5%.) Also ließ er sich etwas »Besseres« einfallen: Asylschnellverfahren, durchgeführt in den Auffanglagern. Diejenigen, deren Fluchtgründe anerkannt werden, sollen dann bevorzugt »nahe ihrer Heimat« untergebracht werden.

Weniger ins öffentliche Bewusstsein gerückt, ist die Tatsache, dass auch hinsichtlich anderer Aspekte der Migrationspolitik, die Zeit national autarker »Steuerung« vorbei ist. EU-BürgerInnen haben seit langem ungehinderten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Eine autonome Zuwanderungspolitik ist derzeit nur noch gegenüber Angehörigen aus Drittstaaten möglich. Und auch hier steht zu erwarten, dass nationale Handlungsspiel-räume kleiner werden. Entsprechend werden deutsche Arbeitsmarktinteressen nicht mehr nur in Berlin, sondern auch in Brüssel verhandelt. Eindrucksvolles Beispiel war die Veran-kerung einer Übergangsfrist von 7 Jahren für die Arbeitnehmerfreizügigkeit (und in Deutschland und Österreich auch für bestimmte Dienstleistungen vor allem im Baubereich) von Staatsangehörigen der Beitrittsländer auf massiven deutschen Druck hin.

Auf der anderen Seite kommt Deutschland um die Einhaltung europäischer Standards nicht immer herum. Zwar scheiterte die Richtlinie zur Familienzusammenführung am deutschen Gegendruck, auf anderen Gebieten konnte sich Deutschland dagegen nicht durchsetzen. Und so gehen ein Großteil von Verbesserungen – die Aufhebung des Arbeitsverbotes für AsylbewerberInnen nach einem Jahr (sic!), die Erweiterung des Kataloges der Asylanerkennungsgründe um geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgung, sowie das derzeit debattierte Antidiskriminierungsgesetz – auf die Verpflichtung zurück, europäische Richtlinien umzusetzen.

Wohin drehen?

Es scheint, als hätte sich die Debatte in den letzten Jahren im Kreis gedreht. Die Einwan-derungsdebatte folgte von Beginn an einer Logik der Verwertung, die auf rassistischer Einteilung und der Möglichkeit des Ein -und Ausschlusses ins nationale Kollektiv folgt, sich diesen Rassismus zu Nutze macht, ihn aber auch reproduziert. Dabei greifen rationale – an einer Positionierung im internationalen Wettbewerb orientierte Über-legungen – und irrationale Rassismen von Bevölkerung und Eliten ineinander.

Ob Europäisierung der Migrationspolitik, der verschärfte internationale Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte, die Altersstruktur der westlichen Industriestaaten: Die ratio-nalen Argumente für den Standort(15) verhallen derzeit ungehört. Zwischen lauter Leit-kultur, Parallelgesellschaften und Integrationsimperativ ist das ursprüngliche Anliegen, den Bedarf und Nutzen der Einwanderung zu vermitteln, in den Hintergrund getreten. Im Hinblick auf den Standort BRD ist der Vermittlungsansatz unumgänglich. Änderungsvor-schläge z.B. die Wiedereinführung eines Punkte-Systems werden nicht lange auf sich warten lassen.

(15) Beispielhaft Elmar Hönekopp: Arbeitsmarktentwicklung, Arbeitsmarktbedarf und Arbeitsmarktorientierte Einwanderungssteuerung, S. 33, in: »Zwischen dosierter Öffnung und Verschärfter Kontrolle«, Dokumentation, FES 2003.

Zurzeit hat die völkische Abschottungsvariante Konjunktur. Mit der Umstrukturierung des Arbeitsmarktes in Form von Arbeitszwang und Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse, wird der Zusammenhang von einer Vergesellschaftung durch Arbeit und den darin eingeschriebenen Ausschließungsmechanismen abermals deutlich. Gesellschaftliche Anerkennung erfährt nur, wer in den nationalen Verwertungsraum integriert ist oder als integrierbar gilt. Auf die Lebensumstände von MigrantInnen wirkt sich das in doppelter Hinsicht aus. Das tief in die Gesellschaft eingeschriebene rassistische Ressentiment, bricht sich unter dem Druck allseitig verschärfter Konkurrenz zwischen den Individuen Bahn und trifft diejenigen, denen die gleichberechtigte Teilhabe an Rechten und Ressourcen schon per ius sanguinis versagt wird. Individuellen Rassismus und struk-turellen Ausschluss als systemimmanent zu benennen und trotzdem nicht auf die Ebene konkreter Forderungen zu verzichten, darin liegen die Spielräume für eine emanzipative Politik. Und das Verlassen rein weißer/deutscher Zusammenhänge könnte helfen, eine umfassendere Perspektive auf das Zusammenspiel zwischen kapitalistischer Verwertung, Ausschluss und völkischer Artikulation zu erhalten.

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