Ziguinchor/Berlin: Digitale Spaltung und internationale Solidarität

Internationaler Jugendaustausch der anderen Art: Ein Berliner Jugendzentrum und ein Stadtteilzentrum im Senegal basteln aus Sonnenkollektoren und Kurzwellen-Sender LowTech-Internetzugänge für Menschenrechtsgruppen.

Wenn von den Möglichkeiten die Rede ist, die das Internet bietet, sollte nicht vergessen werden, dass zwei Drittel der Menschheit noch nie einen Telefonhörer in der Hand hatte. In Afrika gibt es weniger Internetzugänge als in Manhattan und von den wenigen, die es gibt, befindet sich über ein Drittel in der vergleichsweise entwickelten Republik Südafrika. Senegal, im äußersten Westen des Kontinents, liegt mit zwei Telefonen und einem Internetanschluss pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner knapp über dem furchtbaren afrikanischen Durchschnitt. Betrachtet man allerdings die Lage außerhalb der Hauptstadt Dakar, offenbaren sich Verhältnisse, die jene in den nordamerikanischen und europäischen HiTech-Metropolen als ScienceFiction erscheinen lassen. Hier liegt Ziguinchor, eine Stadt mit 140.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die vormalige Heimat des Berliner Lehrers Francois Asukaten.

Seit eineinhalb Jahren arbeitet Asukaten in Berliner Proletenbezirk Neukölln in einem von der Sozialistischen Jugend – Die Falken betriebenen Jugendzentrum. Ein Grund, warum viele Jugendliche gerne ins Anton-Schmaus-Haus kommen, sind die Computer, mit denen sie Emails abrufen, spielen und im Internet surfen können. Für Rat und sachkundige Betreuung ist der Leiter des Hauses René Paulokat da, der in seiner Freizeit beim Alternativ-Provider SO36.NET an neuen Softwaretools tüftelt. Das mag nichts außergewöhnliches sein, aber im Vergleich zum Senegal sind es traumhafte Verhältnisse.

In der Lehmhütte des Carrefour des Arts in Ziguinchor treffen sich Jugendliche, Menschenrechtsgruppen, Künstlerinnen und Künstler. Ausstellungen und Alphabetisierungskurse finden in dem 1995 gegründeten Zentrum statt. Viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der Demokratiebewegung engagiert, die sich in dem von langjähriger Diktatur, Ausbeutung und Misswirtschaft zerrütteten Land dafür einsetzt, dass für die junge Generation eine dritte Alternative zum Schicksal der Flucht oder Armut entsteht. Im Carrefour des Arts teilen sich die Besucherinnen und Besucher zwei alte 486er-Rechner, die kaum jemand bedienen kann. Internetanschluss? Undenkbar. Dafür müsste Sonatel, die senegalesische Telekom, zunächst einmal Leitungen legen – und die lässt sich der Monopolbetrieb teuer bezahlen. Zu teuer, kann das Carrefour des Arts doch kaum die astronomisch hohe Stromrechnung begleichen.

Für den internationalen Jugendaustausch, den Die Falken traditionsgemäß im Zeichen der Völkerverständigung fördern, haben sich Asukaten, Paulokat und einige der Neuköllner Jugendlichen nun etwas ausgedacht, was weit über eine singuläre Begegnung im Rahmen des üblichen Besuchsprogramms hinausgeht: Zusammen mit dem Carrefour des Arts wollen sie einen direkten und längerfristigen Kommunikationsweg zwischen Berlin und Ziguinchor aufbauen. Und das erste Projektziel ist es, den Partnern im Senegal den nötigen Strom und Internetanschluss zu verschaffen. Das ist schließlich die Vorbedingung für den Austausch per Chat und Mail, den die beiden Treffpunkte für die Zukunft vereinbart haben.

Mangelnde Geldmittel wiegen die Projektpartner durch Phantasie und technisches Geschick auf. Um zunächst drei Rechner mit Strom zu versorgen, soll eine Solaranlage vor dem Volksbüro des Carrefour des Arts installiert werden. In einem Land, in dem Elektrizität ein kostbares Luxusgut darstellt, gleichzeitig aber 13 und manchmal 16 Stunden des Tages intensiver Sonnenschein herrscht, ist das eine naheliegende Idee, so könnte man meinen. Trotzdem ist Solarenergie kaum verbreitet, die senegalesische Regierung zieht es bislang noch vor, durch Ölimporte weitere Auslandsschulden anzuhäufen. Von den vom internationalen Ölmarkt und heimischer Despotie abhängigen Energiepreisen wollen sich die Aktivistinnen und Aktivisten in Ziguinchor mit Berliner Hilfe nun unabhängig machen.

Sind die Computer mit Strom versorgt, fehlt die Internet-Verbindung. Um einen Rückgriff auf die teuren Dienste des senegalesischen Leitungsmonopolisten Sonatel zu vermeiden, experimentiert das Berliner SO36.NET mit verschiedenen drahtlosen Übertragungswegen. Neben dem Wave Local Area Network, ein funkbasiertes internes Netzwerk, das heute zunehmend in großen Bürogebäuden oder Krankenhäusern Verwendung findet, steht vor allem die INSULAR-Technologie zur Diskussion. Hinter der Abkürzung verbirgt sich ein Experiment, das von einem Netzwerk alternativer IT-Firmen und Medienprojekten getragen wird und bei dem es um die Möglichkeit geht, Daten via Kurzwelle zu übertragen: »International Networking System for Universal Long distance Advanced Radio«. Das Prinzip des Systems, das extra für LowTech-Regionen konzipiert ist, hört sich relativ einfach an. Mithilfe eines Linux-Rechners, eines besonderen Modems und eines Kurzwellen-Senders werden die Emails und Internetseiten komprimiert an eine Empfangsstation gesandt, wo die Datenpakete entpackt und ins Internet weitergeleitet werden – und umgekehrt. Der schlagende Vorteil von INSULAR: Die Installation der gesamten Anlage kostet nicht mehr als 5000 Euro und garantiert eine drahtlose Internetverbindung auf prinzipiell unbegrenzte Entfernung.

Auch wenn die Technologie einfach sein mag, will erst gelernt sein, sie zu beherrschen. Wie die Anlagen und Rechner installiert und administriert werden, ist deshalb Inhalt der beiden Projektreisen. Ein Seminar wird in Neukölln, eines in Ziguinchor stattfinden. Neben dem gemeinsamen Arbeiten und Lernen kommen politische Fragen bei den Begegnungen nicht zu kurz. Sowohl in Carrefour des Arts als auch im Anton-Schmaus-Haus soll über Zugangsgerechtigkeit und technologisches Gefälle, die Bedeutung von Open Source und die Vorzüge virtueller Zusammenarbeit diskutiert werden.

Bis die Verbindung Ziguinchor/Berlin steht, werden wohl noch einige Widrigkeiten zu überstehen, einige Schwierigkeiten zu überwinden sein. Den Verlauf wollen die Partner auf einer eigenen Website dokumentieren. Eine sinnvolle Sache, ist Senegal schließlich nicht der einzige Ort, der von der globalen Access-Apartheid betroffen ist und das ambitionierte Projekt nur einer von mehreren Ansätzen, sie mit drahtloser Verbindung und LowTech zu überwinden.

http://access.so36.net/