Everyone is an expert!

Die Internet-Datenbank expertbase soll illegalen Migrantinnen und Migranten Zugang zum regulären Arbeitsmarkt verschaffen. Mehr als eine Vermittlungsagentur ist das Projekt aber eine radikale Kritik der Einwanderungsdebatte und der ihr innewohnenden Verwertungslogik.

Armado Rodrigues’ Zündapp-Moped illustriert jedes Schulbuch der Geschichte: Das Symbol der Mobilität erhielt der Zimmermann 1964 als symbolischen Dank an die eine Million Gastarbeiter, die bis dahin nach Deutschland gekommen waren. »Ohne die Mitarbeit der Ausländer«, so erklärte ihm bei seiner Ankunft 1964 auf dem Kölner Bahnhof der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes, »wäre unsere wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre nicht denkbar gewesen.« Zehn Jahre später gab es keinen Arbeitskräftemangel mehr. Hatten »Ausländer« bis dahin als Gast-Arbeiter gegolten, so erhielt der Begriff in der Zeit heraufziehender Massenarbeitslosigkeit zunehmend die Bedeutung einer volkswirtschaftlichen Belastung. Was in den Zeiten des Fließbandes Arbeitskräftemangel und Gastarbeiter waren, sind in der Informationsgesellschaft der »Fachkräftemangel« und die »Experten«. Obwohl sie so wenig deutsch sind wie »Ausländer«, gelten »Experten« nicht als Belastung, sondern als Angehörige einer internationalen Elite, die es an den Standort Deutschland zu locken gilt, damit die heimische Wirtschaft Anschluss den Weltmarkt halten kann. 10 500 dieser raren Spezialistinnen und Spezialisten konnten bislang gewonnen werden. In der gleichen Oktoberwoche des Jahres 2001, in der Arbeitsminister Walther Riester verkündete, weitere 10 000 »Experten« müssten angeworben werden, stellte der Innenminister der gleichen Regierung ein umfangreiches Gesetzespaketes mit ausgesprochen restriktiven Kontrollmechanismen gegen »Asylbewerber« und »illegale Einwanderer« vor. Letztere Begriffe bezeichnen heute an Stelle der inzwischen »integrierten Ausländer« den Kostenfaktor, zu dem sich noch erschwerend kulturelle Andersartigkeit und sicherheitspolitische Gefahren gesellen.

»Experten« oder »Illegale«

Die aktuelle Einwanderungsdebatte ist durch das Ziel zusammengehalten, zu einer Migrationspolitik zu kommen, die der Spannbreite von anzuwerbenden »Experten« bis abzuwehrenden »illegalen Einwanderern« und »Asylbewerbern« Rechnung trägt. »Migrationssteuerung« ist das Schlüsselwort, die »Erfordernisse des deutschen Arbeitsmarktes« der Prüfstein jeder Regelung. Das Primat des Ökonomischen heißt für die Migrantin und den Migranten: soziale Anerkennung, Mobilität und Möglichkeiten, die in Deutschland zu genießen sind, hängen vom aktuellen Tauschwert der eigenen Arbeitskraft ab. Für die In-Wert-Setzung alles entscheidend ist dabei die »Steuerung«, die sich subjektiv als Verzicht auf Autonomie übersetzt: Wer einen Lehrgang in Datenverarbeitung und eine Greencard in der Tasche hat, wird zum aufenthaltsberechtigten »Experten«, während der ungefragt die Grenze überquerende Informatiker nicht Informatiker, sondern »Illegaler« wird.

Mit der Illegalität straft die Migrationspolitik die autonome Mobilität der Arbeitskraft durch radikale Entwertung. Jede Kompetenz, Erfahrung und Ausbildung, die sonst in Bewerbungsunterlagen aufzuführen ist, wird mit der Ankunft in Deutschland auf Null gesetzt. Die »Illegalen« sind verwiesen in die Sphäre informeller Ökonomie, in der die Mechanismen sozialer Wertschätzung nicht gelten. Beruf: Illegaler. Sans papiers ist das prägende Identitätsmerkmal von, so wird geschätzt, 1,7 Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern in Deutschland. Dabei entstammen die insgesamt wenigen Migrantinnen und Migranten, die eine Reise in das europäische Zentrum finanzieren können, in der Regel den gebildeten und ökonomisch potenten Mittelschichten: die »Illegalen«, eine post-industrielle Reservearmee?

»Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnutzen und mehr, die uns nutzen«. Das gnadenlos kapitalistische Credo der Einwanderungsdebatte, wie es der bayrische Innenminister Günther Beckstein zusammenfasst, ist Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und Linken prinzipiell zuwider. Während Migrationspolitik primär ökonomisch bestimmt ist, argumentieren ihre Kritikerinnen und Kritiker vor allem politisch und sozial. Die Katholische Bischofskonferenz weist auf die Fürsorgepflicht hin, die es dem Staat verbiete, Menschen medizinische Versorgung zu verwehren. amnesty international und Pro Asyl klagen mit den linken Antirassismusgruppen die Menschenrechtsverletzungen an, die der Staat bei Abschiebungen und Abschiebehaft begeht. Sie fordern die Ausstattung der »Illegalen« mit den gleichen politischen und sozialen Rechten, wie sie deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger genießen.

expertbase.net

Obwohl die Schutzlosigkeit und Hyperausbeutung in den prekären Arbeitsverhältnissen der Prostitution, des Bau-, Reinigungs- und Gaststättengewerbes nicht unbekannt ist, haben nur wenige Selbstorganisationen und Beratungszentren die ökonomische Dimension der Migration in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Militante Gewerkschaften wie etwa jener Reinigungskräfte an der US-amerikanischen Westküste, die Ken Loach in seinem Film »bread and roses« portraitierte, sind in Deutschland bislang nicht in Sicht. Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Spektrum der Kampagne »kein mensch ist illegal« haben nun in Zusammenarbeit mit den internationalen Netzkünstlerinnen Olia Lialina und Shu Lea Cheang eine Aktion gestartet, die im Kontext der Antirassismusprojekte ungewöhnlich ist. Unter dem programmatischen Slogan »everyone is an expert« stellten sie auf dem Münchner Medienfestival Make World im Oktober 2001 eine Installation vor, deren Kernstück eine Datenbank ist, wie sie auch zahlreiche Agenturen betreiben. Über ein Interface, dessen Ästhetik mit Elementen aus der Welt der headhunter spielt, können Asylsuchende und illegalisierte Migrantinnen und Migranten ihre Arbeitsprofile auf eine Website hochladen. Unter expertbase.net bietet sich potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern dann die Möglichkeit, die Datenbank mit einer Eingabemaske nach Qualifikationen zu durchforsten und gegebenenfalls per Email ein Arbeitsangebot zu unterbreiten – ungeachtet des Aufenthaltsstatus der gesuchten Expertinnen und Experten, versteht sich.

HiTech-Klassenkampf?

Trotz der offenkundigen Anlehnung ist expertbase.net nicht als Non-Profit-Gegenstück kommerzieller Agenturen angelegt. Die Initiatorinnen und Initiatoren sehen die Website vielmehr Plattform, mit deren Hilfe Migrantinnen und Migranten selbstständig Zugang zum regulären Arbeitsmarkt finden können. Doch was geschieht, wenn ein Arbeitgeber die Rechtlosigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter ausnutzt und nicht bezahlt – würde die Datenbank dann nicht zur Plattform des neoliberalen Zugriffs auf die Arbeitskraft? Schutzgarantien, Vermittlungstätigkeit und Beratung, die wohl für den Erfolg der expertbase notwendig wären, sind bislang jedoch nicht vorgesehen.

Zunächst steht eine Promotionskampagne bevor, die das Projekt bei illegalisierten Arbeiterinnen und Arbeitern bekannt machen soll. Zu diesem Zweck rüsten die Aktivistinnen und Aktivisten einen Kleinbus zum mobilen Interface um, in dem die Kundschaft mit entsprechender Unterstützung ihre Profile erstellen und direkt in der Datenbank ablegen können. Daneben suchen die expertbase-Macherinnen und -Macher auch den Kontakt zu Institutionen wie der Handelskammer und den Arbeitgeberverbänden. Sicherlich nicht die üblichen Gesprächspartner linker Aktivistinnen und Aktivisten, stehen die Unternehmerverbände aber aus wohlverstandenen Eigeninteresse der Migration häufig flexibler gegenüber als manche Gewerkschaft. Den Schutz der Kernbelegschaften vor Lohndumping im Auge, haben etwa IG Bau-Funktionäre in den letzten Jahren häufig die Kolleginnen und Kollegen ohne Papiere als »Lohndrücker« attackiert, anstatt sie zu organisieren und ihre Legalisierung einzuklagen.

»Die selbstbestimmte Mobilität des Menschen ist die einzig regulierende Grenze, die der Zirkulation des Kapitals gesetzt werden kann«, so heißt es dazu in einer Flugschrift, die parallel zur Installation erschien. Ein Satz, der klingt, als ob das langsame Zurückweichen im Stellungskrieg um Tarifverträge nicht die adäquate Antwort auf die Globalisierung des Kapitals sei. Geschwindigkeit und Grenzüberschreitung sind die Merkmale einer von den Aktivistinnen und Aktivisten propagierten »New Actonomy«, die die vielbeschworene New Economy alt aussehen lassen soll.

Angriff auf rassistische Diskurse

Man mag die Frage aufwerfen, ob das Medienfestival Make World und die Turiner Biennale, wo die Installation demnächst gastieren wird, den richtigen Kontext für ein solches Projekt darstellen. Die Macherinnen und Macher verstehen expertbase als multifunktionales Projekt. Und es kann durchaus gleichermaßen als Dienstleistung, politisches Statement und als Netz-Kunst im besten Sinn angesehen werden.

Das Verdienst von »everyone is an expert« zumindest liegt, noch bevor irgendeine Arbeit vermittelt wurde, in der radikalen Negation hegemonialer rassistischer Diskurse: Zur Popularisierung der »Migrationssteuerung« schufen die Expertinnen und Experten der Wirtschaft und Politik, der Wissenschaft und Medien die Dualität »integrierter« und »integrationsunwilliger Ausländer«, die nun durch »illegale Einwanderer« und »Experten« aktualisiert wird. Während Asylsuchende und sans papiers dabei als Angehörige einer homogenen Masse konstruiert werden, die über keine Bildung, keine Arbeit, keine Fähigkeiten verfügen, zeigt expertbase dagegen Menschen in ihren subjektiven Erfahrungen und Kenntnissen.

»everyone is an expert« macht sich dafür den Begriff zueigen, der im Kontext der Einwanderungsdebatte gebraucht wird, um denjenigen Migrantinnen und Migranten, deren Einreise gewünscht ist, quasi unersetzliche Qualifikationen zuzuweisen. Der Expertenbegriff verleiht, anders als der auf bessere Ausbildung verweisende Titel des Facharbeiters, eine fast mythische Autorität, die auf spezialisiertem Wissen und soft skills beruht. Um die komplexen Arbeits- und Kommunikationsprozesse zu bewältigen, sind selbstständig arbeitende und sozial kompetente Spezialistinnen und Spezialisten gefragt: Die Arbeitsgebiete und Zahl von Expertinnen und Experten hat sich mit der Ausdifferenzierung und zunehmenden Immaterialität der Arbeit dramatisch vervielfacht.

The universal expert

Die IT-Wirtschaft mit ihrer Vielzahl an art directors und content managers steht dafür symptomatisch, so wie sie mit ihrem elitären Habitus zugleich das Sinnbild der neoliberalen Ideologie ist, der gemäss zur Erfolgsstory werden kann, wer sich nur richtig zu vermarkten weiß. »everyone is an expert« greift diese Sicht des Ich als Humankapital auf und bemüht sich, dem neoliberalen Selbstbild weit sympathischere Gedanken abzugewinnen. Nicht »jeder kann etwas aus sich machen« – jeder Mensch besitzt schon einzigartige Fähigkeiten und wertvolle Erfahrungen. Jeder Mensch ist ein Experte, er kann sich nur nicht zur Geltung bringen und Wertschätzung erfahren, weil die Zugänge zur gesellschaftlichen Partizipation verschlossen sind. Denkt man etwa das internationale Wissen zusammen, das in einem beliebigen Flüchtlingswohnheim versammelt ist, kann man sich leicht vorstellen, wie der Schulunterricht in einer Kleinstadt davon profitieren könnte. Eine Idee, auf die einzelne Lehrerinnen und Lehrer längst gekommen sind, der aber ein organisierter Rahmen nach wie vor fehlte.

Der auffallende Verzicht auf eine vermittelnde Agentur kann in diesem Kontext anders denn als Mangel verstanden werden: Die Autorinnen- und Autorenschaft soll bei den Nutzerinnen und Nutzern liegen. Schließlich spricht der Anti-Rassismus, der als Schutz- und Hilfsinstitution sich definiert, von Migrantinnen und Migranten hauptsächlich in der Kategorie des bedürftigen Opfers – und affirmiert dadurch die Subjektlosigkeit der Migration, die Voraussetzung ihrer »Steuerung« ist. Insofern kann »everyone is an expert« nicht nur in der Zuwendung zur ökonomischen Dimension der Migration, sondern auch in der Organisationsform als (Selbst-)Kritik antirassistischer Arbeit aufgefasst werden.

http://www.expertbase.net/