Die ideologischen Grundlagen des Antizionismus in der Linken

von Thomas Haury

Antizionismus gehörte in den 70er und 80er Jahren zum Grundbestandteil des linken Weltbildes, auch wenn man nicht in einer Palästinagruppe war. Kritik am Antizionismus aus der Neuen Linken selbst gab es seinerzeit überhaupt keine. Also muss dieser Antizionismus ein genuines Produkt des seinerzeit dominanten linken Weltbildes gewesen sein – sonst wäre er nicht so lange unbemerkt geblieben. Meine Hauptthese lautet kurz zusammengefasst: Eine wichtige Ursache des antisemitischen Antizionismus und seiner Akzeptanz in der Linken ist ein holzschnittartiges Weltbild, das antiimperialistisches Weltbild, das die Basis eines diffusen Grundkonsens innerhalb der Linken bildete. Dieses dünkt sich überaus radikal und revolutionär, ist jedoch, schaut man es genauer an, offen nationalistisch und strukturell antisemitisch. Geht man mit diesem antiimperialistischen Weltbild an den Palästinakonflikt heran und versucht es innerhalb dieses Schemas zu erklären, so landet man zwangsläufig bei inhaltlich antisemitischen Positionen.

Wie sieht dieses einfache, flugblattgerechte antiimperialistische Weltbild aus? Wie wird die Welt interpretiert? Die hiesige Gesellschaft wird beherrscht durch einen monolithischen Machtblock, genannt Staat und Kapital, gesteuert von einer kleinen Clique von niederträchtigen »Herrschenden«. Sie bestimmen die Politik, hecken böse Pläne aus, organisieren die Ausbeutung und die Repression, befrieden die Massen mit Sozialpolitik und vernebeln deren Bewusstsein mit ihrer Ideologie, die über die gleichgeschalteten bürgerlichen Medien verbreitet wird. Das »Volk« ist unterdrückt, ausgebeutet und indoktriniert und hat daher ein wahres, gemeinsames Interesse: die Revolution.

Die Außerparlamentarische Opposition (APO) Ende der 60er Jahre verstand sich als die bewusstgewordene Avantgarde, die eben dieser Bewusstseinstrübung der Masse entgegenarbeitet, sie aufklärt, ihr die Augen öffnet und sie zur Revolution führt. 1968 jedoch wurden die Niederlagen der APO offensichtlich. Die Notstandsgesetze wurden verabschiedet, der Pariser Mai war nach wenigen Tagen vorüber und auch die Anti-Springer-Kampagne scheiterte. Zunehmend wurde schmerzlich bewusst, dass sich Verhältnisse nicht so einfach erklären und verändern ließen und sich die proletarischen Massen gar nicht über ihre wahren Bedürfnisse aufklären lassen wollten. Die 1967 noch überschwänglichen Hoffnungen auf baldige und grundlegende Veränderungen wurden bitter enttäuscht und die revolutionäre Identität geriet in Not. So begab sich das revolutionäre Bedürfnis auf globale Wanderschaft und heftete sich an jedwede nationale Befreiungsbewegung in der sogenannten Dritten Welt. Denn dort schienen der klare Trennungsstrich zwischen »sich und dem Feind« (Mao Tse Tung) noch einfach zu ziehen und die »Volksmassen« noch richtig revolutionär zu sein. Das linke Weltbild sah sich bestätigt: Das Böse war der Imperialismus, vorgestellt als eine weltweite Verschwörung der kapitalistischen Staaten unter der Dominanz der USA. Er war verantwortlich für alle Ausbeutung und Unterdrückung im Trikont. Das Gute auf der Gegenseite waren »Völker«, die sich national befreien wollten, sich gegen die Fremdherrschaft und imperialistische Ausbeutung auflehnten und ihr Selbstbestimmungsrecht forderten.

Im Herbst 1969 veröffentlichte das Berliner Untergrundblatt »Agit 883« (dessen Auflage betrug damals über 10.000!) unter dem Titel »Briefe aus Amman« eine Artikelserie von Dieter Kunzelmann. Kunzelmann gab vor, aus einem Ausbildungslager der Palästinenser zu schreiben, in Wirklichkeit soll er aber nur in Berlin untergetaucht gewesen sein. Was war sein Wunschbild? »Hier (in Palästina) ist alles sehr einfach, der Feind ist deutlich, seine Waffen sind sichtbar, Solidarität braucht nicht gefordert zu werden, sie entsteht von selbst.« Völlig unkritisch identifizierte sich die Neue Linke nunmehr mit allen möglichen Befreiungsbewegungen und glaubte wirklich, diese würden all das verwirklichen, was man hierzulande nicht erreichte: die Befreiung von Fremdherrschaft, die Revolution, das Ende von Ausbeutung, den Sozialismus und die allgemeine menschliche Emanzipation. Konnte man dann die Augen vor Verbrechen wie zum Beispiel die Millionen Ermordeten in Kambodscha nicht mehr verschließen, wandte man sich schweigend und ohne kritische Selbstreflexion ab und einem anderen nationalen Befreiungskampf als neuem Identifikationsobjekt zu.

Betrachtet man die Grundstrukturen dieses antiimperialistischen Weltbildes, so ergeben sich große Nähen zu den Strukturen des antisemitischen Weltbildes. Insbesondere bezogen auf die Dritte Welt zeigt sich ein überdeutlicher Manichäismus: eine binäre Zweiteilung in Gut und Böse, US-Imperialismus und kämpfenden Völkern, begleitet von Vorstellungen eines unausweichlichen Kampfes bis hin zur endgültigen Erlösung, der Befreiung, nach der alles gut sein wird.

Ebenso offensichtlich im antiimperialistischen Weltbild ist auch dessen Tendenz zu Personifizierung. Eine kleine Clique von bösen US-Finanzkapitalisten bestimmt weltweit die gesamte Politik, was zwangsläufig auf die Vorstellung einer umfassenden Verschwörung der Metropolen gegen die Dritte Welt hinauslaufen musste. »Völker« waren dagegen ein absolut positiv besetzter Bezugspunkt. Sie waren das real existierende Gute, das Identifikationsobjekt der hiesigen Linken, von dem man glaubte, sie seien vereint im Kampf und würden eine harmonische, freie sozialistische Gesellschaft aufbauen. Der Nationalismus in diesem Weltbild, das Denken in Kategorien von Volk und Nation ist offensichtlich. Aufgrund dieser Grundmerkmale ist das antiimperialistische Weltbild als strukturell antisemitisch zu bezeichnen: Zwar kommen in ihm »Juden« überhaupt nicht vor, aber die Grundmerkmale des Antisemitismus – Manichäismus, binäres Denken, Kampf und Erlösung, Personifizierung, Verschwörungstheorie und der positive Bezug auf Völker – sind im Antiimperialismus enthalten.

Wenn man sich mit diesem antiimperialistischen Weltbild auf den Palästina-Israel-Konflikt stürzt, scheinbar einer von vielen Befreiungskämpfen in der Dritten Welt, dann wird diese strukturelle Nähe zum Antisemitismus zur inhaltlichen Affinität. Geradezu zwangsläufig müssen dann antisemitische Stereotype produziert werden. Denn das antiimperialistische Weltbild identifiziert auch hier nach bekannter Manier Gut und Böse: böse ist das Kapital, der Imperialismus – gut ist das Volk. Was passiert, wenn man damit nach Palästina reist? Man findet natürlich das gute palästinensische Volk, Israel muss dagegen zum Bösen werden, das mit dem Imperialismus zu tun hat. Die DKP-Zeitung »Unsere Zeit« führte 1975 aus: »Die Welt im Nahen Osten ist in zwei Fronten geteilt. Da sind die arabischen Völker, die vom progressiven Westen der Welt im Sinne des Fortschritts unterstützt werden, dem gegenüber stehen die zionistischen Kreise, jüdische Bourgeoisie und Monopole in und außerhalb Israels, die von der gesamten kapitalistischen Welt unterstützt werden.« Innerhalb dieser schönen Zweiteilung konnte Israel nur der wesenhaft böse Feind sein. Folgerichtig wurde Israel charakterisiert als »Garten des Bösen, der ein einziges Kontinuum des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist.« Auch der Zionismus fungierte als Metapher für das Böse schlechthin: »Der Zionismus wehrt sich vehement gegen ein friedliches Zusammenleben der Völker. Wegen der durch keine Vernunft und Menschlichkeit gebundenen Ungeheuerlichkeit zionistischer Aggression ist der Zionismus nicht nur der unversöhnliche und unreformierbare Feind der Palästinenser, er ist auch unser Feind, er ist der Feind aller Menschen.« Auf der großen Palästina-Solidaritätsdemonstration in Berlin im April 2002 war ein Transparent zu sehen, auf dem der Kopf von Sharon zu aus der Mitte des Davidsterns herausschaute, versehen mit roten Teufelshörnern, spitzen behaarten Teufelsohren und Vampirzähnen, von denen das Blut heruntertropft. Die Dämonisierung Israels zum absolut Bösen ist ein unverzichtbares Moment des Antizionismus.

Auf der Gegenseite von diesem abstrakten Bösen (Kapital, Imperialismus, Zionismus) steht natürlich das konkrete Gute, das Volk. 1989 schrieb z.B. die Nahostgruppe Freiburg: »Alle Aktionen und Forderungen beweisen die Einheit des palästinensischen Volkes. Alles spricht dafür und beweist die Integrität und die Einheit dieses Volkes. Israel ist mit dem gesamten Volk konfrontiert.« Auch hier steht das geeinte kämpfende Volk dem abstrakten kapitalistisch-imperialistischen Bösen namens Israel gegenüber. Dieses darf natürlich kein Volk haben, sonst hätte man ja zugestehen müssen, dass zwei Rechte auf nationale Selbstbestimmung miteinander im Konflikt stehen. Man hätte nicht mehr eindeutig nach Gut und Böse sortieren können und gar nach einem Kompromiss suchen müssen. Also durfte Israel kein Volk besitzen. Konziliantere Antizionisten waren noch bereit, die Existenz eines jüdischen Volkes zuzugestehen. Allerdings habe dieses nichts mit Israel zu tun. Israel sei nur »ein künstliches Gebilde, das der Zionismus versucht als Heimstätte aller Juden zu tarnen«. Die konsequentere Fraktion der Antizionisten dagegen bestritt die Existenz eines jüdischen Volkes generell. Die Juden seien ein »angebliches Volk«, »das niemals existiert hat«. Um dies zu belegen griff man auf die schon erwähnte palästinensische Nationalcharta zurück. Darin war zu lesen: Kennzeichen und Urgrund eines Volkes seien »Heimatboden« sowie eine »Identität« als »genuine unauslöschliche Eigenschaft. Sie geht von der Elterngeneration auf die Nachkommen über.« Das zitierte man in antizionistischen Kreisen gern, und ausgestattet mit derartigen Blut-und-Boden-Vorstellungen unterschied man »echte« Völker wie Kurden oder Palästinenser mit einem selbstverständlichen und unterstützungswürdigen Naturrecht auf einen eigenen Staat von dem »unechten« Volk der Juden-Zionisten, dem dieses Recht aberkannt wurde. Die Zeitschrift »Al Karamah« führte dies wunderbar anschaulich vor: »Was das Volk letztendlich ausmacht ist sein Land, seine Geschichte, die folkloristischen und kulturellen Gewohnheiten und Traditionen. Wenn du die Wurzeln eines Volkes erkennen willst, schau seine Tänze, schau seine Folklore an. Den Zionisten fehlt eine einheitliche Folklore, da sie aus verschiedenen Teilen der Welt, aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Sie bilden keine Nation und müssen sich nationale Eigenschaften durch Raub erwerben.« Ist die Lage derart gezeichnet, liegt die Schlussfolgerung auf der Hand. Der Kommunistischer Bund 1973: »Der Konflikt im Nahen Osten kann nicht anders gelöst werden als durch die Zerschlagung des zionistischen Staates.« Oder der SDS Frankfurt 1970: »Nieder mit dem chauvinistisch-rassistischen Staatengebilde Israel.«

In den antizionistischen Schriften und Broschüren wurde »Israel« oft konsequent in Anführungszeichen gesetzt. Das hatte man sich von der Bildzeitung abschaut, die auf diese Weise die »DDR« als zu beseitigenden Pseudo-Staat kennzeichnen wollte. Genauso verfuhren bundesdeutsche Antizionisten mit Israel. Und ebenso verkündete 2002 die »Kommunistische Aktion« aus Wien: »Frieden in der Region kann es nur geben, wenn die Imperialisten ihre Finger davon lassen – was zugleich den Zusammenbruch des Israelischen Staates bedeuten würde.« Die offensive Aberkennung des Existenzrechts Israels gilt im harten Antizionismus bis heute.

Doch stehen derartige Positionen vor einem Problem: Wie kann man als Linker guten Gewissens die Auflösung des jüdischen Staates, der sich als Staat der Überlebenden der Shoah versteht, fordern? Folgerichtig muss die Vernichtung der Juden verdrängt – und für die Linke heißt das: wegtheoretisiert – werden. Mittels der linken Theorie lässt sich relativ einfach bewerkstelligen. Laut dieser hat die Linke per definitionem mit dem Antisemitismus überhaupt nichts zu tun. Dieser sei eine bürgerliche Ideologie, komme »von oben« und habe wie alles Böse überhaupt nichts mit dem Proletariat zu tun, sondern sei vielmehr eine bloße Lügenpropaganda der Herrschenden zur Ablenkung des revolutionären Hasses. Und auch die Judenvernichtung wurde mittels linker Ideologie zur Seite gekehrt. Man zitierte einfach Dimitroffs Faschismusdefinition: »Faschismus ist die Diktatur der reaktionärsten chauvinistischsten Teile des Finanzkapitals« usw. und wollte im Nationalsozialismus nichts als ein Instrument der Kapitalisten zum Zwecke der Ausbeutung sehen. Man richtete alle Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung des Proletariats im Nationalsozialismus, die Judenvernichtung tauchte so gut wie nicht mehr auf. Die »Faschismustheorien«, die in den 70er Jahren fabriziert wurden, insbesondere jene der K-Gruppen, gerieten zu regelrecht »judenreinen« Faschismusanalysen, in denen Auschwitz so gut wie nicht mehr vorkommt.

Entsprechend empfindlich reagierten die antizionistische Linke auf jede Erinnerung an Auschwitz. In der 1979 im deutschen Fernsehen mit großem Publikumserfolg ausgestrahlten US-Fernsehserie »Holocaust«, die die Judenvernichtung verpackt in eine Familiengeschichte thematisierte, wollte der KBW nichts als »zionistische Propaganda« sehen. Und auch das Nahostkomitee Heidelberg warnte vor diesem »hinterhältigen Legitimationsversuch für den imperialistischen Brückenkopf Israel« – die imperialistisch-zionistische Verschwörung reichte bis in Hollywoods Filmindustrie hinein.

Waren Auschwitz und der Antisemitismus mittels »linker Theorie« derart zur Marginalie erklärt, mit der die Linke nichts zu tun habe, konnte man bedenkenlos gegen Israel agitieren und ganz unverblümt antisemitische Stereotype produzieren. Man schrieb also von der »zionistischen Weltbewegung« und von den »zionistischen Multimillionären, die sich immer wieder zu privaten Konferenzen treffen, um Israels Aggression zu unterstützen« und phantasierte unbeschwert über die unersättliche Herrschsucht Israels. Die einen sahen ein »Großisrael vom Nil bis zum Euphrat« reichen. Anderen war das noch nicht genug: »Israels seit Jahrzehnten erklärtes Ziel ist die biblisch-jüdische Ausdehnung seines Einflusses auf den ganzen nahen Osten plus Zaire und Südafrika, Mittel- und Lateinamerika in der weiteren Perspektive.« Im Jahr 2002 führte die Antiimperialistische Koordination Wien auf einer Demonstration das bereits zitierte Transparent mit sich, auf dem stand: »Das Ziel zionistischer Politik? – Weltherrschaft?!«

Auch von der jüdischen Presseherrschaft wähnten sich die Antizionisten bedroht. Immer wieder wurde beklagt, dass die »Beherrschung der Weltöffentlichkeit durch die zionistische Propaganda in der Lage ist, jede kritische Äußerung gegen den zionistischen Staat Israel zum Schweigen zu bringen«. Und in Israel wiederum sah man nichts anderes als ein »mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde mit parasitären Charakter.« Gegenüber den linken Antizionisten nimmt sich Jamal Karsli , dessen Aussagen letztes Jahr zu einem Skandal führten, wie ein Waisenknabe aus.

Nachdem, wie ich hoffe, deutlich geworden ist, wie über den Antiimperialismus, über dieses Weltbild ein Antisemitismus entsteht, sobald man damit den Palästina-Konflikt deutet, ist nun noch darauf einzugehen, was dies alles mit deutschen Nationalismus auf Seiten der Linken zu tun hat.

Unter Nationalismus verstand die Linke immer nur eine Propaganda von oben, eine Ideologie, mit der die Herrschenden den Angriff auf andere Staaten zu legitimieren oder die Klassenkonflikte im Innern zu verkleistern versuchten. Aber dass es ein deutsches Volk gebe, das auch gemeinsame Interessen habe, eine deutsche Nation oder so etwas wie nationale Identität, das stand auch für die Linke immer außer Frage. Und nicht nur die entsprechenden Schriften von KPD, SPD oder der SED zeugen von dem Bedürfnis der Linken nach Identifikation mit einem »guten deutschen Volk«, sondern auch in der Neuen Linken Westdeutschlands zeigen sich nationalistische Tendenzen. In den 70er Jahren verfasste beispielsweise Rudi Dutschke eine Reihe von Aufsätzen über die »nationale Frage« in Deutschland. Und schon in den 60er Jahren sah er, hierin durchaus rechten Positionen nahe, das geteilte Deutschland dominiert von sowjetischen und US-amerikanischen Besatzern. Auch beklagte Dutschke »den Auflösungsprozess der geschichtlichen und nationalen Identität durch die kapitalistische Amerikanisierung« und hoffte, »das der Kampf um nationale Unabhängigkeit zu einem elementaren Punkt des sozialistischen Kampfes in Deutschland wird«. Das ZK der KPD/ML verfasste zur nationalen Frage gar ein Manifest mit dem grandiosen Titel »Deutschland dem deutschen Volk«. Darin hieß es: »Wir schöpfen aus der psychischen Wesensart des deutschen Volkes, wir schöpfen aus seinem Arbeitsfleiß und seinem Ordnungssinn, aus seinem wissenschaftlichen und künstlerischen Genie das unser Volk so oft bewiesen hat und das den Ruhm der deutschen Nation begründet.«

Die nicht-orthodoxe Linke, die Spontis, die Autonomen und die Antiimperialisten wollten sich derart weder auf die deutsche Nation noch gar auf die von der KPD/ML gepriesenen Sekundärtugenden beziehen. Aber um so mehr war man vom Bezug auf kämpfende Völker in der sogenannten Dritten Welt abhängig. Auf der Suche nach kollektiver revolutionärer Identität war man außerhalb Deutschlands konsequenter Anhänger eines jeden Befreiungsnationalismus und identifizierte sich pauschal mit allen möglichen Völkern.

Je größer die Liebe zum deutschen Volk, desto deutlicher musste dieses natürlich auch von der Linken von Auschwitz entlastet werden. Die beschriebenen Entlastungsstrategien – die beiden Arten der Relativierung und die Schlussstrichforderung – zeigen sich auch in der Linken im Allgemeinen und bei der antizionistischen Fraktion im Besonderen.

Diese erste Entlastungsstrategie: »Andere sind auch Täter« war geradezu ein Kinderspiel: Mittels der linken Faschismustheorie konnte jeder kapitalistische Staat zum krypto-faschistischen Staat erklärt werden. Militärdiktaturen wie in Griechenland, Chile oder in der Türkei wurden umstandslos als offen faschistisch bezeichnet. Und insbesondere die kapitalistische Vormacht USA wurde penetrant als faschistisch gebrandmarkt. »USA – Internationale Völkermordzentrale«, oder »SS – SA – USA«, lauteten die gängigen Parolen auf Demonstrationen. Solche linken Projektionen des Faschismus auf andere Staaten betrieben nichts anderes als eine Entlastung Deutschlands vom Nationalsozialismus.

Auch die zweite Entlastungsstrategie: »Die Deutschen waren genauso Opfer« war innerhalb der linken Theorie kein Problem. Ihr galten allein Kapitalisten als Schuldige an der NS-Herrschaft, das »deutsche Volk« stand als reines Opfer da. Die damals links majorisierte Evangelische Studentengemeinde erklärte Mitte der 70er Jahre: »Das erste Opfer des Faschismus war das deutsche Volk selber.« Die KPD verkündete zur gleichen Zeit: »Das deutsche Monopolkapital saugte bis zum Schluss das Mark aus den Knochen des eigenen Volkes«. Und im Jahr 2000 verlautbarte die Zeitung der Linksruck-Sekte: »Nicht die Deutschen haben die Juden vergast, sondern die SS. Schuldig an diesem Verbrechen sind die Funktionsträger des Nazistaates und all die jene, die von ihm profitiert haben. Die Vorstellung einer Kollektivschuld der Deutschen an den Naziverbrechen verhöhnt jene Millionen die Widerstand leisteten.« Um die Deutschen zum identifikationsfähigen Opfer-Volk zu stilisieren, theoretisiert die Linke immer wieder einen Nationalsozialismus ohne Deutsche herbei.

Sind andere zu genauso schlimmen Tätern und die Deutschen (und insbesondere das deutsche Proletariat) zu genauso armen Opfern erklärt, ist auch die Forderung nach einem Schlussstrich nicht weit. Die Neue Linke verstand sich selbst als revolutionär und in antifaschistischer Tradition stehend, außerdem noch als jung und nachgeboren, was sollte man noch mit der Vergangenheit zu tun haben? Das Palästinasolidaritätskomitee verkündete 1973: »Die junge Generation in der Bundesrepublik fühlt sich für die Naziverbrechen an den europäischen Juden nicht verantwortlich.« Und der Kommunistische Bund sekundierte 1975: »Vergangenheitsbewältigung ist ein Begriff, den die Arbeiterklasse nicht nötig hat. Sie hat doch die Leiden des Faschismus und des Krieges am grausamsten und am krassesten am eigenen Leibe verspürt.«

Am effektivsten ist die Entlastung durch die Verkehrung von Tätern und Opfern natürlich, wenn die Opfer per se, die Juden, als die Faschisten von heute vorgeführt werden können. Jüdische Täter sind Balsam für das deutsche Nationalbewusstsein. Auf diesem Gebiet leistete die antizionistische Neue Linke wirkliche Pionierarbeit: Quer durch die gesamten 70er und 80er Jahre zeigt sich ein geradezu obsessives Bedürfnis, Israel mit dem Faschismus gleichzusetzen. Der SDS Heidelberg behauptete, die israelische Regierung wolle »mit den arabischen Völkern ebenso verfahren wie die Nazis mit den Völkern Polens und der UdSSR«. Die KPD bezeichnete die Zionisten als »die Nazis unserer Tage, die Palästina araberfrei machen wollen.« Die RAF schrieb vom »Moshe-Dayan-Faschismus – diesem Himmler Israels«, der »seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden«.

In unzähligen Karikaturen wurde in immer neuen Varianten der Davidstern mit dem Hakenkreuz verschmolzen, man sprach von »Nazisrael« oder vom »Nazionismus«. 1982, nach den Massakern in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatilah, konnte man in allen linken Zeitungen vom »israelischen Vernichtungskrieg« lesen. Das antiimperialistische Informationsbulletin, Arbeiterkampf und taz titelten: »Holocaust an den Palästinensern« und »Endlösung der Palästinenserfrage«. Die Zeitschrift »Al Karamah« behauptete in den späten 80er Jahren völlig unverfroren, »die faschistischen Vernichtungsmaßnahmen des zionistischen Siedlerstaates übertreffen die Maßnahmen des deutschen Faschismus bei weitem«. Schaut man heute die entsprechenden Websites bei indymedia an, findet man Ariel Sharon verziert mit Seitenscheitel und Hitlerbärtchen. Auf den derzeitigen Palästina-Solidaritätsdemonstrationen, so z. B. letztes Jahr in Berlin, gibt es zuhauf Transparente mit Losungen wie: »Stoppt Sharons Endlösung«, »Stoppt den israelischen Holocaust in Palästina«, »Der Geist von Auschwitz schwebt über Palästina«, oder richtiggehend poetisch: »Der Tod ist ein Meister aus Israel«.

»So sind sie uns perverserweise ähnlich geworden«, stellten deutsche Antizionisten fest. In der Konsequenz solcher Projektionen liegt nicht nur die Entlastung der Deutschen von ihrer Vergangenheit, sie bedeuten auch den Aufruf zu neuerlicher Gewalt gegen Juden. Waren die Juden-Israelis zu den Nazis von heute und die Palästinenser zu den »Juden der Juden« erklärt, konnten die neu-deutsche Linken mit bestem antifaschistischen Gewissen den anti-israelischen Kampf aufnehmen, zumal sie für sich – lange vor Helmut Kohl – die »Gnade der späten Geburt« für sich reklamierten. Drohend hieß es: »Die Juden sollen nicht glauben sie hätten durch unsere Taten eine Art Mordbonus erhalten.« Der grüne Kalender stellte fest: »Angesichts der zionistischen Gräueltaten verblassen die Nazigräuel«, und fragte erwartungsvoll: »Wann wird den Juden endlich ein Denkzettel verpasst ?« Als erste Maßnahme rief er dazu auf: »Kauft nicht bei Juden.«

Was bleibt als Fazit des deutschen Antizionismus festzuhalten? Das antiimperialistische Weltbild der Neuen Linken war geprägt von Manichäismus, Personifizierung, Verschwörungstheorie und der Entgegensetzung von guten »Völkern« versus dem bösem Finanzkapital und damit strukturell antisemitisch und offen nationalistisch. Wird mit diesem der Palästina-Israel-Konflikt gedeutet, so muss sich diese strukturelle Ähnlichkeit zur einer inhaltlichen Ähnlichkeit konkretisieren. Dann sind die Palästinenser das gute, bodenständige Volk und Israel nur noch ein imperialistischer Brückenkopf. Die Juden müssen zum Nicht-Volk erklärt werden, das mit Kapitalismus und Imperialismus im Bunde steht. Zwangsläufig ist daher den antizionistischen Pamphleten immer wieder vom jüdischen Finanzkapitalisten die Rede oder von der zionistischen Propagandamaschine und so weiter. Die penetranten Gleichsetzungen von Nationalsozialismus und Zionismus zeigen, dass auch bei der deutschen Linken, sobald die Rede auf Israel kam, ein aggressives Bedürfnis nach deutscher Normalität, nach Schlussstrich, nach Entlastung von der deutschen Vergangenheit zu Tage trat.

Aus diesen Gründen treffen sich auch Linke und Rechte auf keinem Gebiet so deutlich, wie in ihrer Israelfeindschaft. Das ist zum einen durchaus auch wörtlich zu verstehen: Als sich die RAF 1970 in palästinensischen Ausbildungslagern aufhielt, wurden an dessen anderem Ende auch Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann trainiert. Heute treffen sich Neonazis, islamistische Fundamentalisten und antiimperialistische Linke auf Palästina-Solidaritätsdemos. Und man trifft sich auch im ideologischen Sinne: »Internationale Solidarität im Kampf der Palästinenser gegen Zionismus« steht auf der Homepage des nationalen Widerstandes Ruhr, »Palästina – das Volk muss siegen«, ebenfalls eine altbekannte antizionistische Parole findet sich auf der Homepage der Jungen Nationaldemokraten.

Abschließend seien noch fünf Charakterisierungen von Juden, Israel bzw. Zionismus zitiert: »Feind der Welt«, »Feind der Menschen«, »blutrünstige und machtgierige Bastion gegen die Völker«, »Sinnbild alles Bösen«, »Garten des Bösen«. Drei Zitate sind von »links«, zwei von rechts (von Hitler und Goebbels). Die Zuordnung fällt schwer. Dies zeigt, wie kurz dieser Weg vom »Antiimperialismus der dummen Kerls« (Isaak Deutscher) zum Antisemitismus ist.

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